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ARCHITEKT UND GESTALTER DES WISSINGER-GRABES WIRKUNGSVOLL: Größen ihrer Zeit „Ein Grabmal fürs Leben“

Eines der bedeutsamsten deutschen Architekturwerke wird auf dem Südwestkirchhof restauriert

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ARCHITEKT UND GESTALTER DES WISSINGER-GRABES WIRKUNGSVOLLEines der bedeutsamsten deutschen Architekturwerke wird auf dem Südwestkirchhof restauriert Von Peter Könnicke Max Taut (1884-1967) · seit 1911 als Architekt in Berlin selbständig · Mitglied der „Gläsernen Kette“, der eine Vielzahl avantgardistischer Architekten und Künstler Anfang der 20er Jahre angehörten. In der Zeit entstehen kristalline Entwürfe, die sich im „Grabmal Wissinger“ konkret wiederfinden · Architekt des Bürogebäudes des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes. · im Dritten Reich diffamiert · 1945-54 Professur an der Akademie der Bildenden Künste in Berlin. Otto Freundlich (1878-1943) · jüdischer Maler und Bildhauer · Mitbegründer der abtrakten Kunst · 1937 in Deutschland als „entartet“ verfemt und vermutlich hingerichtet im Konzentrationslager Lublin-Maidanek. Stahnsdorf - Auf der Landesstraße rast auf einem Kilometer Länge das Leben am Stahnsdorfer Südwestkirchhof vorbei. Hinter der vierspurigen Asphaltstrecke liegt wegen seiner historischen Grabmalkunst und aufwendigen Gartengestaltung Deutschlands bedeutsamster Friedhof. Dort thront unweit der imposanten Stabholzkirche das „Grabmal Wissinger“, das bereits zu seiner Entstehungszeit wie auch heute als kühn und ungewohnt gilt. Bezogen auf eine Grabarchitektur liege die Grabstätte aufgrund ihrer formalen Eigenart selbst für den heutigen Betrachter noch fern der herkömmlichen Sehgewohnheiten und Konventionen, urteilen Architekten der Gegenwart. „Dass das Grab schon immer die ungeteilte Zustimmung der Kirche hatte, kann man nicht behaupten“, weiß Arne Ziekow, Leiter des Friedhofsreferates der Evangelische Landeskirche. „Aber der kulturhistorischen Bedeutung des Grabmals ist sich die Kirche bewusst.“ Die Gewalten der Natur machen solche Unterschiede freilich nicht: Der Sommerorkan 2002, der verheerende Schäden auf dem Südwestkirchhof anrichtete, ließ einen Baum auf das Wissinger-Grab stürzen: Einzelteile wurden beschädigt und ein Bogen der Stahlbetonkonstruktion vollständig zerstört. Zudem ist auch das Material an dieser zeitlos schönen Grabmalkunst vergänglich, so dass die gestern begonnenen Restaurierungsarbeiten ein Gebot der Stunde sind. Mit der Grabstätte der Wissingers, einer angesehenen Kaufmannsfamilie der Berliner Gründerjahre sowie Kultur- und Kunstmäzene, hat der Architekt Max Taut zu Beginn der 1920er Jahre eine Architektur geschaffen, die heute zu den bedeutsamsten Beispielen des Expressionismus zählt. Eine der Grabplatten schuf der Bildhauer Otto Freundlich, der mit den Wissingers freundschaftlich verbunden war. Die expressive Grabplastik wurde 1923 wegen öffentlicher Proteste entfernt und ist bis heute verschollen. Bei der Anlage handelt es sich um eine an gotische Sakralarchitektur erinnernde Rahmenkonstruktion aus Stahlbeton und Tuffstein, die als offene Arkatur die Grabplatten überwölbt. Es gibt zahlreiche Versuche der Interpretation. Der anerkannteste beschreibt ein magisches Ritual, in dem die Schöpfung nachvollzogen wird. Es war der West-Berliner Architekt Christoph Fischer, der 1985 bei einer Führung des Kleinmachnower Ortschronisten Dieter Mehlhardt über den Südwestkirchhof eher zufällig auf die zugewachsene Grabstätte stieß. Fünf Jahre zuvor war sie von der Familie Wissinger aufgegeben worden. „Mit weichen Kien und erschrocken über den Zustand stand ich davor“, beschreibt Fischer die „unverhoffte Begegnung“, die ihm die „illegale Teilnahme“ an dem Rundgang bescherte. Wahrlich diplomatisches Geschick war nötig, um 1987 von westlicher Seite mit ersten Rataurierungsarbeiten den Verfall des Architekturdenkmals zu stoppen. 17 Jahre später ist es wieder Fischer, der die nun anstehenden Arbeiten leitet. Fasziniert lobt er den „unglaublich kühnen und modernen Bau“, bei dem Taut mit seiner Konstruktion „alles ausgereizt hat, was das Material hergab“. Unterstützt wird Fischer von angehenden Bautechnikern der Berliner Knobelsdorff-Schule. Deren Leiterin, Heike Pieper, hat eine ganz besondere Beziehung zu dem Wissinger-Grab. Ihr Interesse und das ihres Mannes, ehemaliger Leiter der Max-Taut-Schule in Berlin-Lichtenberg, gilt seit langem der Architektur des 20. Jahrhunderts und der Friedhofskultur. Als im Jahr 2000 Möglichkeiten gegeben wurden, auf dem Südwestkirchhof Grab-Patenschaften abzuschließen, „da leuchtete etwas in mir“, erinnert sich Heike Pieper. Vor drei Jahren unterzeichneten sie den Patenschaftsvertrag über die Wissinger-Ruhestätte. „Ein Grabmal fürs Leben“ nennt sie ihr Paten-Objekt. 25 000 Euro wird die Restaurierung der bedeutsamen Grabanlage kosten. Auftraggeber ist die Stiftung Historische Kirchhöfe und Friedhöfe in Berlin Brandenburg, die für den Südwestkirchhof ein umfassendes Sicherungs- und Erhaltungskonzept entwickelt hat. Mit insgesamt 1,5 Millionen Euro unterstützt die Deutsche Klassenlotterie Berlin die Umsetzung des Konzeptes, wozu auch die Arbeiten am Wissinger-Grab gehören. Bischof Huber beschrieb den Stahnsdorfer Südwestkirchhof einmal als einen Ort, an dem man sich der eigenen Vergänglichkeit bewusst werde und an der Sterblichkeit nicht verzage. „Wer wie die Wissingers ein solches Grabmal in Auftrag gegeben hat, hat diese Funktion des Ortes verinnerlicht“, befand gestern Stiftungs-Vize Arne Ziekow. GRABPATEN Da die Nutzungsrechte an vielen historischen Grabstätten seit Jahren ausgelaufen sind und die Friedhofsträger allein kaum in der Lage sind, die unzähligen Denkmäler zu pflegen und zu erhalten, ist zunehmend privates Engagement gefragt. Eine Möglichkeit sind Grabpatenschaften. Heike und Ludger Pieper sind seit 2001 Paten des Wissinger-Grabmals. „Die Patenschaft bedeutet für uns die aktive Teilnahme am Erhalt kulturellen Erbes am Beispiel eines in seiner architektonischen Einzigartigkeit bedeutsamen Grabmals“, so Heike Pieper (Foto). ARCHITEKT Christoph Fischer (Foto), Architekt und Mitglied im Fachbeirat der Stiftung Historische Kirchhöfe, restaurierte bereits von 1987 bis 1991 Teile des „Grabmals Wissinger“. Dazu veröffentlichte er mit Volker Welter 1989 im Gebrüder Mann Verlag die Dokumentation „Frühlicht in Beton“.

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