Potsdam-Mittelmark: Halbzeitandachten und Hartz IV
Kirchenvertreter debattierten über Glauben, Ehrenamt und Fußball
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Michendorf – Mit einem deutlichen Appell an die evangelische Kirche, sich in aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen stärker zu positionieren, endete am vergangenen Sonntagnachmittag der Kreiskirchentag des Kirchenkreises Beelitz-Treuenbrietzen.
Während Kinder und Jugendliche in einem Musical eine musikalische Reise durch die Bibel unternahmen, präsentierten an diesem sonnigen Nachmittag, kirchliche und andere soziale Träger ihre Arbeit auf der Festwiese in Michendorf. Hier war das Hospiz Potsdam ebenso vertreten, wie die Aktion Tschernobyl-Kinder e.V. und der evangelische Kindergarten. Neben obligatorischen Bratwurstständen, versuchte auch die junge Gemeinde ihre Kasse aufzubessern, durch den Verkauf von Caipirinha – natürlich alkoholfrei.
Doch mit einer Beschränkung auf die klassischen Kernthemen Glaube, Betreuung und Diakonie wollten sich die Kirchenvertreter nicht zufrieden geben. Auf einer Podiumsdiskussion unter dem Motto „In guter Gesellschaft die Welt erleben“, forderte Generalsuperintendentin Heilgard Asmus einen offensiveren Umgang mit politischen Themen und mehr Selbstbewusstsein der Kirche. „Wir müssen in der Familienpolitik eigene Positionen beziehen und zeigen, dass der Wert des Menschen nicht nur auf marktwirtschaftlichen Aspekten beruht“, so Asmus. Dem stimmte auch die Michendorfer Bürgermeisterin Cornelia Jung zu. „Wir brauchen die Kirche in der Schule.“ Die Kirche könne Werte vermitteln, wie es Mathe-Lehrer oder Politiker nur schwer können, erklärte die parteilose Politikerin.
„Die Kirche ist keine Bundesagentur für Wertevermittlung“, warf Markus Bräuer, Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit der evangelischen Kirche ein. Die Kirche dürfe kein reiner Dienstleister für Diakonie und Glaubensvermittlung sein. „Die Seelsorge darf nicht zu kurz kommen – wir müssen aber auch die Interessen jener vertreten, die keine Lobby haben.“
Kirche müsse brisante politische Fragen, wie zum Beispiel Kürzungen bei Hartz IV aufwerfen, zum Nachdenken anregen und gelegentlich auch unbequem werden, meinte ebenso Harald Rohr von „Brot für die Welt“. Teilweise müsse sich die Kirche auch mit Fragen von Gerechtigkeit befassen, die sich am Rande von Recht und Gesetz bewegen, so Rohr. Die Flüchtlingshilfe oder das so genannte „Containern“, also Lebensmittel, die von Supermärkten aufgrund leichter Haltbarkeitsüberschreitung weggeworfen und von anderen Menschen für den Eigenbedarf oder soziale Einrichtungen wieder herausgeholt werden, seien solche Fälle. „Jetzt haben sie tatsächlich Vorhängeschlösser an den Müllcontainern und die Aktivisten fragen uns, ob es moralisch vertretbar ist, diese zu knacken.“
Momentan steht auch die Kirche im Schatten der Fußball-Weltmeisterschaft. „Eine der schwersten Debatten in der näheren Vergangenheit waren öffentliche Übertragungen der Spiele in den Kirchen“, bestätigte die Generalsuperintendentin. Inzwischen gäbe es Halbzeitandachten und Gebete vor dem Spiel für die Zuschauer.
Einig waren sich alle, dass, trotz Fußball und Politik, der Glaube die Inhalte des kirchlichen Handelns bestimmen müsse: „Unsere Blickrichtung bleibt der Altar“, bekräftigte Asmus. Die eigenen Wertvorstellungen und der Glaube an Jesus müssten offensiv nach außen getragen werden: „Wir dürfen uns nicht für unseren Glauben schämen, so Asmus. Für ein soziales und politischeres Engagement seien aber vor allem aktive Gemeindemitglieder notwendig, mahnte Rohr. Insbesondere im Osten seien die Gemeinden aber noch sehr introvertiert.
Sebastian Gülde
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