
© dpa/Burkhard Fraune
Wie Güterzüge leiser werden: Hammerschläge in Seddin
Die Deutsche Bahn baut in Seddin leisere Bremsen in Güterwaggons ein. Sonst droht ab Ende 2020 Stillstand.
Stand:
Seddiner See - Axel Radowsky muss tief in die Knie gehen, um die zwei Buchstaben zu zeigen. Zwei große gelbe L in einem Kreis, aufgesprüht auf das rot-braune Fahrgestell eines Güterwaggons. An dem Kürzel erkennen lärmgeplagte Bahnanwohner, ob der Wagen die neue lärmmindernde Bremstechnik hat.
Dass die Menschen das auch hören können, dafür sind Fertigungssteuerer Radowsky und seine Kollegen im Bahnwerk in Neuseddin zuständig. Hammerschläge dröhnen durch die Halle nahe des großen Rangierbahnhofes. Schlosser mit Helmen steigen in Gruben unter Waggons aller Arten: Rote, braune, offene, geschlossene, Kesselwagen. Die beiden gelben L stehen für Low noise und Low friction, wenig Lärm durch wenig Reibung, und meinen die Bremsen. 1200 Güterwagen haben in den vergangenen drei Jahren in Seddin neue Bremsen bekommen. Bundesweit fährt inzwischen die Hälfte der Güterwagen der Deutschen Bahn mit sogenannten Flüsterbremsen - nach „einer internen Kraftanstrengung“, wie DB Cargo-Chef Jürgen Wilder sagt. „Bis Ende 2020 wird unsere gesamte Flotte in Deutschland von rund 64 000 Wagen leise fahren.“
In Seddin steigt Fertigungsleiter Mario Krüger unter einen Wagen. Zwei Hammerschläge an der Bremse, dann springt ein Keil raus, und die Bremssohle lässt sich herausnehmen – ein ziegelsteingroßes, gebogenes Stück Eisen, das zum Bremsen gegen das Rad gedrückt wird. Neue Bremssohle rein, Hammerschläge auf den Keil, fertig. „16 Sohlen pro Wagen tauschen wir so aus“, sagt Krüger.
Nur noch halb so laut wie vorher
Die neuen Bremsklötze sind nicht aus Eisen, sondern aus einem Verbundkunststoff. Flüsterbremse, diesen Werbebegriff hat sich die Bahnbranche dafür ausgedacht, doch er führt in die Irre. „Es geht nicht um das Bremsen. Das wird immer Geräusche machen“, erklärt Radowsky. Doch die Kunststoffbremse raut die Radoberfläche weniger auf als Eisen. Und das senkt das Rollgeräusch, den Lärm – auch wenn das Wort Flüstern übertrieben ist. Die Technik soll die Lautstärke um etwa 10 Dezibel auf rund 75 Dezibel senken – was das menschliche Ohr als Halbierung wahrnehme. Wenn in 25 Metern Entfernung ein Güterzug vorbeirattert, ist es dann noch in etwa so laut wie in einem Café. Das ist eine Entlastung für Anwohner an stark befahrenen Güterstrecken wie etwa im Mittelrheintal, aber auch den Zubringerstrecken zum Seddiner Rangierbahnhof.
Die Bahn kostet das: Allein für die aufwendigere Wartung der Kunststoffbremsen rechnet sie bis 2020 mit Mehrkosten von bis zu 230 Millionen Euro. Der Bund hat der Branche und damit auch seinem Staatskonzern die Pistole auf die Brust gesetzt, immerhin gehört ihm jeder dritte Güterwagen auf deutschen Gleisen. Die Regierung will den Schienenlärm bis 2020 gegenüber 2008 halbieren. Sie fördert die Umrüstung, hat kurz vor Weihnachten aber auch beschlossen, laute Güterwagen Ende 2020 zu verbieten. Denn Lärm macht krank. „Für Menschen, die nachts permanent hohen Schalleinwirkungen ausgesetzt werden, sind die Risiken gesundheitlicher Beeinträchtigungen signifikant erhöht“, heißt es im Gesetzentwurf. Züge ohne die neue Technik müssen demnach langsamer fahren, um leiser zu sein.
Durch diese Ausnahme könnte aber die Kapazität der Schiene sinken, weil langsamere Güterzüge das Netz verstopfen, fürchten Kritiker. Die Bahn und die übrigen Güterwagenhalter wollen das Gesetz deshalb verschärft sehen. „Unser Ziel muss ein flächendeckender Einsatz leiser Wagen sein“, heißt es beim Verband der Güterwagenhalter in Deutschland. Laute Züge müssten demnach mehr Geld für die Schienennutzung zahlen.
In den Werken geht unterdessen die Umrüstung weiter. „Wir bekommen den leisesten Schienengüterverkehr in Europa – neben der Schweiz“, sagt die Bahn. Fertigungssteuerer Radowsky hat zwei weitere Bremssohlen in die Hände genommen. Es gibt noch viel zu tun.
Burkhard Fraune
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: