Potsdam-Mittelmark: Heimlicher Gesang unterm Kirchendach
Der Caputher Männerchor „Einigkeit“ feiert sein 100-jähriges Bestehen – eine Geschichte mit Lücken
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Schwielowsee - Als die Caputher für ihren Männerchor die Zelter-Plakette, die Bundespräsident Theodor Heuss 1956 „Für Verdienste um Chorgesang und Volkslied“ erstmals stiftete, beantragten, waren sie sich ihrer Sache nicht sicher. Verliehen wird die Plakette frühestens aus Anlass des 100-jährigen Bestehens eines Chores. Zwar wurde der Caputher Gesangsverein 1907 gegründet, doch zwölf Jahre in der Vereinschronik sind ausgelöscht. Von 1933 bis 1945 gab es den Chor nicht.
Dem aufmerksamen Betrachter der Ausstellung, die zu Ehren des Jubilars gestaltet wurde und seit einigen Tagen im Caputher Heimathaus zu sehen ist, bleibt die Lücke nicht verborgen. Das Protokollbuch, handschriftlicher Zeuge der Vereinsgeschichte, endet 1933. Die Ausstellung selbst bleibt einen Hinweis schuldig. Aus der Festschrift ist indes zu erfahren, dass der Chor von den Nationalsozialisten verboten worden war. In der „Einigkeit“ sangen vor allem Arbeiter und Sozialdemokraten - linke Gesinnung und rotes Liedgut wurden im braunen Deutschland verfolgt, verboten, vernichtet. Chormitglieder mauerten das Gründungsprotokoll, Noten und die Vereinsfahne ein – „Keiner weiß wo“, bedauert Chorleiter Joachim Schabik. Etwa 35 Mitglieder hatte der Chor um 1933. Schon vor Beginn des Krieges wurden viele Männer in Rüstungs- und Munitionsfabriken dienstverpflichtet, 1939 zogen sie an die Front. Terror, Verfolgung und Krieg ließen die „Einigkeit“ für viele Jahre verstummen.
Dem Gleichschaltungwahn der Nazis fiel nicht nur der Arbeiterchor zum Opfer. Auch die bürgerliche „Liedertafel“ wurde in Caputh verboten. Deren mit Gold besticktes Seidenbanner wurde dem Gastwirt Richard Krüger zur Aufbewahrung übergeben – heute steht es im Heimathaus.
Wenn aus der Zeit nach Hitlers Machtübernahme und des Dritten Reiches kaum etwas überliefert ist, „heißt das nicht, dass diese Jahre bewusst ausgeklammert sind“, meint Kristina Kaufmann vom Heimatverein. Doch es sei schwer, nachträglich festzustellen, ob und welche Sangesaktivitäten es trotz des Verbotes gab. Quellen gibt es kaum. Überliefert ist, dass der von den Nazis eingesetzte Bürgermeister persönlich zu dem damaligen Chorleiter Friedrich Kettmann ging, das Verbot aussprach und seine Anordnung mit einer Ohrfeige schlagkräftig untermauerte.
In der Familie der 70-jährigen Gisela Karus hat sich das Gesangs-Gen über Generationen vererbt. Ihr Großvater war im Chor, ihr Vater, ihr Mann hat gesungen und auch ihr Sohn. Sie vermutet, dass sich die Caputher Männer das Singen von Nazis nicht vollständig verbieten ließen. „Sie müssen sich heimlich unter dem Dach der Kirche getroffen haben, denn Vater hat immer geschwärmt, dass die Kirche eine so wunderbare Akkustik hat“. Indiz für heimliche Chortreffen waren auch Süßigkeiten. „Immer wenn Vater singen war, lagen am nächsten Morgen auf der Frisiertoilette Bonbons, die er aus der Gaststätte mitbrachte.“ In dessen Hinterzimmer soll so manches Lied gedämpft erklungen sein.
Doch öffentlich Protest hat niemand gewagt. Caputh war bis 1933 sozialdemokratisch geprägt. Bürgermeister Richard Sydow war Sozialdemokrat. Bei den Wahlen “33 bekam in Caputh die SPD die meisten Stimmen. Daher regierten die Nazis nach der Machtübernahme mit besonderer Härte, verboten neben den beiden Chören dutzende weitere Vereine und sogar das jährliche Sedan-Fest, mit dem die 1870 gewonnene Schlacht im deutsch-französischen Krieg gefeiert wurde. Als politisch Verfolgte wurden zahlreiche Caputher in Konzentrationslager verschleppt, Klaus Huglers Buch „Gedenken in Caputh“ listet die Toten des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges akribisch auf. „Wer hätte Protest wagen sollen?“, fragt Gisela Karus. Mitläufer und Denunzianten gab es auch in Caputh, genauso wie überzeugte NSDAP-Mitglieder. Die Zerstörung des Jüdischen Landschulheim in der Reichspogromnacht durch Einwohner des Ortes steht für das braune Kapitel der Ortsgeschichte, das von Caputhern selbst geschrieben wurde.
Es spreche für die Lebenskraft des Vereins und für die Freude der Caputher am Chorgesang, dass es gelungen ist, nach dem Zweiten Weltkrieg und der Nazi-Diktatur wieder an Traditionen anzuknüpfen und den Chor zu neuen Erfolgen zu führen, befindet Bürgermeisterin Kerstin Hoppe in ihrem Grußwort in der Jubiläums-Festschrift. Gleicher Meinung ist Bundespräsident Horst Köhler. Die Urkunde zur Verleihung der Zelter-Plakette an den Caputher Männerchor hat er bereits unterzeichnet. Anfang September nimmt der Chor die Auszeichnung in Empfang.
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