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KulTOUR: „Hier ist mein Motor!“ Güterfelder Fotograf begleitete Ingmar Kleist,

der seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt

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Schwielowsee - Eine hilfreiche Hand muss Ingmar Kleist behütet haben, als er 1988 beim Reinigen eines Industrieschornsteins aus 20 Metern Höhe in die Tiefe fiel – und überlebte. Es war ein Absturz aus dem gewohnten Niveau seines Lebens: Mehr als zwei Jahre hat der Schenkenhorster gekämpft, um wieder fit zu werden.

Fortan zwar an den Rollstuhl gebunden, aber nicht gefesselt, nahm er sein Leben aktiv in die Hand: Fachabitur an der Abendschule, Studium der Nachrichtenelektronik an der Technischen Fachhochschule Berlin, erfolgreiche Jobsuche gleich nebenan. Auch daheim ging es weiter. Seit 16 Jahren lebt er im eigenen Haus mit seiner Partnerin zusammen, es gibt zwei gemeinsame Kinder, und täglich fährt er, man glaubt es kaum, per Rollstuhl-Bike in eine kleine Firma nach Teltow zur Arbeit. Irgendwann im vergangenen Jahr sah ihn der Güterfelder Fotokünstler Uwe Paul Schulze, doch erst die Ausschreibung eines Wettbewerbs der Lotto GmbH zum Thema „Glück - Spiel - Gewinn“ brachte die beiden näher. Wochenlang lichtete der Fotograf Ingmar Kleist in allen möglichen Situationen ab, bei der Entwicklung von lasergesteuerten Zusatzgeräten für Blinde in der Firma, im trauten Verhältnis mit Frau und Kindern, im Geschwindigkeitsrausch des rasenden Rollstuhls, beim Feiern, auf dem zugefrorenen Güterfelder See. Einen Preis hat Uwe Schulze zwar nicht bekommen, dafür aber Gelegenheit, 28 dieser eindrucksvollen Porträt-Fotos in der Petzower Schinkelkirche unter dem Titel „Glück des Lebens“ auszustellen. Sein „Modell“ ist nicht nur ein Vorbild an Willenskraft und Beharrlichkeit, er ist auch ausgesprochen fotogen: offener Blick, ein Lächeln, manchmal mit Strenge und Energie vermischt.

Schon nach seinem Sturz wollte er sich nicht fallenlassen, doch hatte er ein ganzes Jahr zu kämpfen, um sich erst einmal körperlich zu regenerieren. Der Lebensgeist blieb immer aktiv, und genau das drückt sein Gesicht auch aus. Es ist ein besonderes Foto, ihn am Wegrand zu sehen, indes Frau und Kind in einem Kornfeld Blumen pflücken. Der Fotokünstler hat sie mit Partizipien oder Adverbien benannt, etwa „beobachtend“, „kraftvoll“, „rückblickend“, na ja.

Eine monochrome Aufnahmetechnik gibt der Doppelgalerie ein ganz originales Flair. Längst hat der Güterfelder auch beschlossen, die so erstaunliche Lebensgeschichte dieses Mannes aufzuschreiben. Es ist also nicht zu Ende mit dem Fotografen und seinem „Motiv“. Bis hierhin jedoch formuliert Uwe Schulze im Begleittext zur Verkaufsausstellung ausdrücklich seinen Dank an das Paar, weil es ihm „Einblicke in ihr Leben“ gewährte, eine wunderbare Geste.

Behindert, aber quicklebendig und aktiv: In diesem Sinne wollen sowohl die künstlerische wie auch die veranstaltende Seite ähnlichen Schicksalen ausdrücklich Mut machen, „ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen“. Dieser Willensakt ist wohl die erste Tat, dann fügt sich vieles. Ungläubig befragt, ob das Rollstuhl-Bike denn für die Touren nach Teltow nicht einen Antrieb habe, tippte er auf seine Arme und sagte mit aller Bestimmtheit: „Das hier ist mein Motor!“ g. p.

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