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Von Henry Klix: Hinein, hinauf, hinaus

Jahrzehnte alte Übungsfilme von HFF-Studenten sollen die Diskussion zum Baumblütenfest neu beleben

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Werder (Havel) - Eine Lokomotive dampft heran, ein Dampfer trompetet auf der Havel. Auf der Terrasse des „Gasthofs zur Baumblüte“ werden liebevoll die Tischdecken aufgelegt. Ein herausgeputztes, junges Paar lustwandelt zu einfühlsamen Violinenklängen durch blühende Kirschplantagen. Das Baumblütenfest im Jahr 1956 nimmt seinen Anfang. Es ist ein denkwürdiges Dokument der Zeitgeschichte, das Susanne Foidl aus dem Archiv der Babelsberger Filmhochschule geborgen hat.

Seit 52 Jahren besteht für die Regiestudenten der HFF im ersten oder zweiten Studienjahr dieselbe Aufgabe: Sie müssen filmisch einen Ort beschreiben. Für Dutzende Städte und Dörfer der Mark liegen ungehobene Schätze im Archiv. Einer wurde jetzt gehoben. Susanne Foidl, Lehrkraft im Studiengang Montage, hat sich auf die Spur des Werderaner Baumblütenfestes begeben – und ist zweimal fündig geworden: „Baumblüte ’74“ heißt ein achtminütiger Beitrag der Studentin Irene Kandziora. Und Regiestudent Hansjoachim Barthel wollte 1956 dabei sein, „Wenn in Werder die Kirschen blühen“.

Hinein, hinauf, hinaus – es bleibe jedem selbst überlassen, „wo er das eine sucht und das andere findet“, heißt es mit schnarrendem „R“ in dem siebenminütigen Streifen. Von der Glindower Platte fliegt die Kamera fast hinunter in den Festtrubel mit Glücksrad, Losbuden und Rummel-Schaukeln. Die Musik wechselt von Klassik auf Jazz, auf dichtbesetzten Bänken wird geneckt und getrunken. Das junge Paar begibt sich eng umschlungen auf die gut gefüllte Tanzfläche.

Seit vier Jahren lebt Susanne Foidl in Werder. Sie lebt gerne im Hohen Weg, surft im Sommer über die Havel und ist froh, hier alles zu finden, was sie zum Leben braucht. Trotzdem könnte man Dinge besser machen: Im vorigen Jahr hat Foidl die Diskussion zum Blütenfest verfolgt und ist der Initiative 2008 beigetreten, die sich eine sanftere Festvariante wünscht. „Es ist in all den Jahren im Grunde dieselbe Story geblieben“, meint die 42-Jährige nach Sichtung der Filmdokumente. Etwas habe sich doch verändert: „Das Ganze machte früher einen gepflegteren Eindruck. Die Leute haben sich hübsch angezogen, die Wirte ließen sich etwas einfallen. Es wurde nicht nur konsumiert, sondern genossen.“ Das Fest sei weniger beliebig, besser in der Region verankert gewesen. Flammkuchen und fränkischer Wein, so kennt es Foidl vom Weinfest in ihrem unterfränkischen Heimatdorf Hörstein. „Aber warum werden beim Baumblütenfest Batterien und Plastik-Tangas verkauft, wo ist zum Beispiel die Templiner Braumanufaktur?“

Ihre Gedanken möchte sie gern mit anderen Werderanern teilen, eine Vorführung der beiden Filme am 15. Februar im Scala soll die Diskussion beleben, bevor man sich – nach der für nächste Woche geplanten Ausschreibung – für einen neuen Veranstalter entscheidet. Nicht verbissen streiten, sondern gegenseitiges Verständnis lernen, lautet Foidls Motto. Dazu will sie im Scala auch eigene Tonmitschnitte und Fotos vom Fest 2008 präsentieren. Die Fernsehbeiträge vom vergangenen Jahr mit wüsten Sauforgien hält selbst Foidl für „überzogen“.

In der über 50 Jahre alten Übung von Hansjoachim Barthel wird aus Jazz am Ende zünftige Blasmusik. Die Gäste machen sich auf den Heimweg, im Dampfer wird geschunkelt. Und ein zurückgebliebener einsamer Zecher starrt müde in sein leeres Glas.

Vorführung am Sonntag, den 15. Februar, um 10.30 Uhr im Kino Scala, Eisenbahnstraße 182. Der Eintritt ist frei.

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