KulTOUR: Hund und Katz in Gesellschaft
Ton und Kirschen-Premiere in Bliesendorf: Maurice Maeterlincks Märchen „Der Blaue Vogel“
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Werder · Bliesendorf - Auf Erden ist der Mensch das Maß aller Dinge. Jedes Wesen fürchtet ihn, doch alle müssen sich zu ihm in ein Benehmen setzen. Der Hund etwa folgt ihm mit Treue, ein Katzentier geht seiner eigenen Wege. Nichts anderes ist der Grund ihrer immerwährenden Feindschaft als ihr konträres Verhältnis zum Menschen. Auf genau dieser Konstellation beruht auch Maurice Maeterlincks 1908 geschriebenes Märchen „Der Blaue Vogel“, Sinnbild für Allwissenheit und Glück.
Das Wandertheater „Ton und Kirschen“ hat es jetzt aus dem Vergessen geholt und in drei ausverkauften wie umjubelten Vorstellungen dort ans Licht gebracht, wo besonders viel Landschaft ist, im fernen Bliesendorf. Toll, wenn eine Fan-Gemeinde solche Wege nicht scheut. Also musste man im Gasthof „Zur Linde“ sehr zusammenrücken, damit die an „Hänsel und Gretel“ erinnernde Mär überhaupt beginnen konnte.
Vor oder während des Schlafes erhalten die Holzfällerkinder Tyltyl (Nicolas Leresche) und seine kleinere Schwester Mytyl (Anne Grigis) von der Fee Berylune (Margarete Biereye, wie alle in mehreren Rollen) den Auftrag, für ihre kranke Tochter den Blauen Vogel zu suchen. Ein mitgegebener Diamant verleiht allen Dingen und Wesen menschliche Stimme, das in Soumia El Boukhari verkörperte Licht soll die beiden ins Land der Vergangenheit, zur Nacht und in die Zukunft führen. Irgendwo muss das Flugtier ja sein.
Begleitet werden sie von ihren sprechenden Lieblingstieren: Dem tapferen Jungen ist ein Hund (Mohamed El Hassouni) zugeordnet, dem Mädchen logischerweise der Kater, und hier liegt eigentlich auch schon der Butz: In der schönen, doch wie bei jedwedem Menschenwerk unvollkommenen Inszenierung von David Johnston und Margarete Biereye, bekriegen sich beide ständig, ohne dass ganz deutlich wird, warum.
Es geht nämlich um das Verhältnis zum Menschen. Der Hund ist treu, der Kater (Nelson Leon) aber will im Bündnis mit der Nacht den Erwerb des Vogels unbedingt verhindern, denn sonst ängstigten die Menschen alle Tiere nur noch mehr. Dramaturgisch ist das klar, aber trotz herrlichster Ideen, Masken und toller Körpersprache kam die Grundidee von der bissigen Hund-Kater-Gesellschaft zu kurz. Allein das gelenkige Schnurrtier nämlich war schuld, dass es mit dem Glücke nichts wurde! Auch das Licht als Feind der Nacht blieb im herrlichen Spielgefüge viel zu neutral. Das Bühnenbild (Daisy Watkiss, Kes Hayter) ist eine im Wortsinn vielfältig verwendbare Klappkulisse, die Umbauten (durch das „Brot“ David Johnston etwa) äußerst sehenswert. Den musikalischen Part des Abends übernahm Jean Cohen-Solal mit viel Feingefühl.
Es war so schön, dass man diese Inszenierung trotzdem gesehen haben muss: Der Kampf von Tyltyl gegen den Eichenmann, welcher ihm Hilfe verweigert, weil dessen Vorfahr tausende Bäume geschlagen, die rührende Begegnung mit den Großeltern im Land der Vergangenheit, die opulente Gestaltung der Türen der Nacht, dahinter Kriege oder Krankheiten (brillant die Darstellung der „Erkältung“ durch Johnston) hervorbrechen. Was die Konstruktion eines umständlich erbauten Mobile durch blauköpfige Kinder bewirken sollte, bleibt tatsächlich der Zukunft überlassen.
Nach neunzig Minuten „Symbolismus“ wusste man nicht, ob alles ein Traum gewesen, wäre nicht die an Berylune erinnernde Nachbarin mit ihrer Marionetten-Tochter hereingekommen, jenen Vogel im goldenen Käfig zu bewundern, der stets seine Farbe ändert, so man ihn einsperrt. Auf flog er, und durch die Türe davon! So bleibt das Glücksproblem offen – bis zum kommenden Frühling vorerst, wenn der Rest der Welt dieses erhebende Märchen nach Wandertheaters Winterpause wieder zu sehen bekommt.
Gerold Paul
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