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KulTOUR: „Ich habe ein Buch bekommen!“

Literarischer Abend im Huchelhaus: Der Lyriker Thomas Rosenlöcher über sein Erstlingswerk

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Michendorf - „Schreib endlich wieder Gedichte, der liebe Gott fragt danach!“ Mit diesem sanften Begehren trieb die Gattin des Lyrikers Thomas Rosenlöcher denselben immer wieder zu neuen literarischen Produktionen an. Er war zwar nicht faul, aber mal ging es, mal nicht. So war zwischen seinem Erstling „Ich lag im Garten bei Kleinzschachwitz“ (1982) und den folgenden „Schmalbänden“ eine gar lange Zeit. Rosenlöcher („Namen gibt“s“, wunderte sich mancher) galt in der DDR als Außenseiter, nicht nur, weil er Klopapier, Zahnbürste („Mundbesen“) und Seife in gutem Versmaß besang. Er war einer, der sich lange Beine wachsen ließ. Sie brachten „den Staat“ sofort in arge Bedrängnis, weil sie schnurstracks ins ungeliebte Berlin marschierten. Kurz vor dem Brandenburger Tor hielt diese „Verlängerung“ ein – Endzeile des Gedichts: Man muss bescheiden sein. Er ist einer mit Format auch heute, auch wenn sein Oeuvre nicht gerade nach Metern misst. Angefangen hat er wie alle anderen im Dresdener Garten bei Kleinzschachwitz, wo er nicht etwa den Fortschritt, sondern seinen Apfelbaum zum Mittelpunkt der Welt erklärte. Er verweigerte Herausgeber Renatus Deckert auch keine Antwort, als es darum ging, die Anthologie „Mein Erstling“ vorzubereiten. Beide trafen jüngst im Wilhelmshorster Huchelhaus zu einem belebenden literarischen Abend zusammen.

Gelesen hat Thomas Rosenlöcher, Jahrgang 1947, schon sehr früh. Heines „Buch der Lieder“ zuerst, vieles danach, bis sich sein literarisches Dasein in Phasen gliedern ließ: romantisch, homerisch, emanzipatorisch, expressionistisch, eine sozialistische war wohl nicht dabei. Wie wenig man als Debütant auch ein „autorisierter Autor“ war und ist, schildert sein sehr persönlicher Erstlingsbericht. Vom Berliner Aufbauverlag abgewiesen, vom Mitteldeutschen gegängelt, kam die sächsische Sache dort doch noch zustande. Wie Frauen eine Geburt bejubeln, so auch er: „Ich habe ein Buch bekommen!“, doch bald merkte der 32-jährige, dass nicht einmal seine Freunde „Kleinzschachwitz“ gelesen hatten. Auch in den Läden gab es das Werklein bald nicht mehr, er hat heute nicht mal einen eigenen Beleg seines Debüts.

Weil da noch was „frei“ war, studierte er zuerst etwas Ökonomie, dann das Literaturinstitut in Leipzig, alles mit sächsischem Humor und voller „Dankbarkeitsstaunen“. Der Mann ist ungeheuer sympathisch, was er sagt, hat Substanz, seine Zunge braucht weder Umweg noch doppelten Boden. Staunend und schmunzelnd hörte das Publikum seine alten und neuen Gedichte, auch Prosa, darin viel Lyrisches ist: Wie er etwa zu Meißen im Brautzug von Ludwig Richter verschwand oder aus seinem neuen Buch „Das Flockenkarussell“, oder wie er beim Hauskauf durch eine redende Mumie im Obergeschoss nur den halben Preis bezahlen musste. Er lebt seit langem im Erzgebirge. Trotzdem mischte er in der aktuelle Diskussion um den neuen Elbübergang mit literarischen Mitteln („Die Brücke“) mit, sein melancholischer Kommentar: „Vielleicht muss man seine Vaterstadt wirklich verlassen, es geht einem viel zu nahe!“

Renatus Deckert, selbst Lyriker, führte ein richtig gutes Fachgespräch, von dem auch die Zuhörer etwas hatten. Man hörte von Rosenlöchers Vorliebe für den Hexameter, von seiner Sehnsucht, „in mehreren Zeiten gleichzeitig zu leben“, deshalb vielleicht der Hang zu Bobrowski und Huchel. Sein Naturell ist lyrisch, romantisch, sentimental, ein Sachse eben, und solche scheint der liebe Gott zu mögen – so sie nur dichten.

Am 2. Juni spricht Franz Binder über sein Dalai-Lama-Portrait, 20 Uhr

Gerold Paul

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