Potsdam-Mittelmark: „Ick betrüje nur ein bisken“ Erste Abendveranstaltung in der Muckerstube Werder: Muckers Ambiente
Werder (Havel) - „Hallo Leute, hier jibt et wat, war Ihr nicht habt ick betrüje nur ein bißken, denn ich komm“ aus Werda.“ So etwa schallte es noch in der Kaiserzeit auf den Obstmärkten in Berlin.
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Werder (Havel) - „Hallo Leute, hier jibt et wat, war Ihr nicht habt ick betrüje nur ein bißken, denn ich komm“ aus Werda.“ So etwa schallte es noch in der Kaiserzeit auf den Obstmärkten in Berlin. Von der Möhre bis zum selbstgemachten Sauerkraut, von der Kirsche bis zur Himbeere, alles was die Metropole brauchte, kam vor hundert Jahren tatsächlich aus Werder und Umgebung. „Land“, ohne das man schon damals „nichts“ galt, war die Voraussetzung, Bürgerfleiß und Geschäftssinn das notwendige Zubehör, denn von dem, was der Boden hergab, mussten die Familien das ganze Jahr leben.
Entsprechend groß die Sorge, nicht ohne Leihgeld über den Winter zu kommen, deshalb auch der sprichwörtliche Eifer. Aufstehen um vier, eine Stunde später begann die Arbeit. „Land“ und der Garten am Haus zur Gemüseversorgung waren zweierlei. Obstmucker galten rundum als Selbstversorger. Jeder Zentimeter des Bodens, oben Sand, unten Lehm, wurde nach einem klugen System genutzt, Frühjahrsfröste konnten den Obstbauern so nie ruinieren. Holzpantinen waren da, wie alles Werdersche, einfach praktisch, so trat man sich auf der Leiter die Fußsohlen nicht durch. Ab Mittag wurde hinter verschlossenen Toren verpackt - der Spruch „Heirate nie Nachbars Tochter, du müsstest Mauern einreißen“ ist für Werder so typisch wie der hier um 1900 erfundene Spankorb. Dergestalt also gab Heidemarie Garbe ihre erste Abend-Veranstaltung im jüngst eröffneten „Café Muckerstube“ vis a vis der Alten Schule. Mit viel Liebe und Sinn für Tradition hat sie sich dort ein schnuckeliges „Heimatstübchen im Ambiente des alten Werder um 1910“ eingerichtet, sehens- und erlebenswert in jedem Falle. „Kaffee, Kuchen & Geschichte“ steht programmatisch über der Speisekarte, was veranstaltungstechnisch „Entdecken, staunen und genießen wie zu Ur-Großmutters Zeiten“ bedeuten mag. Von jedem gibt sie reichlich: Ihre Küche hält von der Schmalzstulle mit Gurke über frischen Kuchen bis zum Werderaner Wein alles bereit, „was die Speisekammer hergibt“, selbstgemacht, versteht sich. Auch Geschichten erzählte sie am Freitag in Hülle und Fülle.
Als Mitglied der Stadtführergilde weiß sie ja sowieso alles, aber wer kennt schon ihre Sippe? Ortsgeschichte war hier Familienchronik, lebendig gemacht in einem Diavortrag über ihre Urgroßeltern. Auch das mit dem Staunen ist nicht übertrieben, denn das gesamte Ambiente der beiden Räume nebst Küche besteht aus dem Original-Hausrat ihrer Vorfahren ab 1910. Warum das alles noch da ist? „Meine Mutter weigerte sich konsequent, etwas wegzuwerfen.“ Ein Glück, anders stellt sich Historie ja kaum her. Ein richtiges Familien-Museum!
So erzählte sie in Muckertracht und mit dem gewitzt-flinken Mundwerk der „hökernden“ Marktfrauen einfach „von damals“: Wie die Hochzeit des Urelternpaares ablief, wer traute und wie der Fleischer hieß, ließ die Zuhörer ein bestätigendes „Ach ja, der!“ ausrufen, wie groß die selbst zu schneidernde Aussteuer sein musste, und dass man jede Kirsche für den Export nach Berlin – Stiele in eine Richtung – einzeln behandelte. Achtzig Gläser jeder Frucht waren jährlich einzukochen, keins weniger!
Strenge Regeln unter den Ackerbürgern auch gesellschaftlich – man musste (Vereine) „dazugehören“, damit der Laden lief. Sprüche gab“s extra: Was Fontane von den Obstmuckern hielt, ist bekannt. Auch dies? „Die Werderaner geben gern – aber nur in der Familie.“ Das trifft“s wohl ein bißken. Die Veranstaltungsreihe wird fortgesetzt.
Zum Museumstag am heutigen Samstag wird von 15 bis 18 Uhr zum „Quatschen mit der Muckerschen“ in die Muckerstube, Brandenburger Straße 164, eingeladen. Die Winteröffnungszeit ist Donnerstag bis Sonntag 14 bis 18 Uhr, im Sommer Dienstag bis Sonntag 14 bis 18 Uhr.
Gerold Paul
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