Von Thomas Lähns: Im Fahrwasser des Seelöwen
Der Eisbrecher des Berliner Wasser- und Schifffahrtsamtes ist zurzeit zwischen Potsdam und Ketzin unterwegs
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Potsdam / Potsdam-Mittelmark - Hinter einem großen Steuerrad einen Stahlkoloss übers Wasser lenken, die Maschine dröhnt unter den Füßen, während sich der Bug unermüdlich vorwärts schiebt: Es ist einer der Berufe, von denen man schon als kleiner Junge träumt. Thorsten Küster ist Kapitän auf dem „Seelöwen“, einem Eisbrecher im Dienste des Wasser- und Schifffahrtsamtes (WSA) Berlin, und für ihn gehört dieser Traum zum Alltag. Bis nach Ketzin ist er dieser Tage unterwegs, um die Havel für Güterschiffe vom Eis zu befreien.
Nach den Tiefsttemperaturen Anfang Januar mussten die Wasserstraßen in der Region für eine Woche gesperrt werden: 20 Zentimeter dickes Eis hatte sie unpassierbar gemacht, selbst der Seelöwe kam nicht mehr durch. Jetzt, da es wieder wärmer wird, sind Thorsten Küster und seine Kollegen rund um die Uhr unterwegs: In Zwölf-Stunden-Schichten ist je ein Schiffsführer und ein Maschinenwart an Bord des Eisbrechers. Sie haben bereits ganze Arbeit geleistet: Wie Eiswürfel in einem Whisky-Glas schwimmen dicht an dicht dicke Schollen im Tiefen See. Sie müssen weiter zerkleinert werden, denn noch immer könnten sie an kleineren Booten Schaden anrichten.
Es geht in Richtung Westen, durch den Sacrow-Paretzer Kanal. Vor der Mündung stauen sich die Bruchstücke, die mit Bug, Schiffsschraube und dem Fahrwasser zermalen werden. Die Besatzung wird dabei ordentlich durchgeschüttelt, wie in einem Bus, der über Kopfsteinpflaster fährt. In den eisfreien Abschnitten dreht Küster den Motor auf und bringt seinen Seelöwen auf bis zu 22 km/h.
„Im letzten richtig kalten Winter vor sechs Jahren hatten wir Schollen von der Größe eines Fußballfeldes“, erinnert sich Thomas Krüger, Leiter des WSA-Außenbezirkes Potsdam. Wenn die frei auf dem Wasser treiben, können sie Deiche und Wehre beschädigen. Auch Sportboote, die den Winter am Steg verbringen, sind dann nicht sicher. Krüger ist mit an Bord gekommen, um die Lage einzuschätzen und die Gewässer wenn möglich freizugeben. Denn die Güterschiffe stehen nach der Zwangspause wieder in den Startlöchern: Getreidetransporte in Berlin, die nach Westen wollen, Schwerlastter in Brandenburg, die der Weiterfahrt in die Hauptstadt harren.
Kapitän Küster weiß um deren Sorgen: „Schon bei einem kleineren Transporter kostet der Verlust eines Tages 800 Euro.“ Er selbst stammt aus einer alten Berliner Binnenschiffer-Familie, schon der Urgroßvater ist auf den Havelgewässern gefahren. Küsters Eltern seien zurzeit mit ihrem Frachter in Holland unterwegs, berichtet er. Seine Cousins sind Schiffsführer und seinem Onkel gehörte einst die „Aviso“, die zum Restaurant umgebaut worden ist und jetzt als „John Barnett“ am Kai der Potsdamer Schiffbauergasse liegt. Ab und zu knistert das Funkgerät: Anfragen der Güterkapitäne, wo der Seelöwe gerade steckt. „Wenn es passt, schließen sie sich an“, erzählt Küster. So kämen Karawanen von bis zu zwölf Schiffen zustande.
Im Moment liegt hier aber nur ein Boot mitten auf dem Fluss: Die „Bacharelle“ der Potsdamer WSA-Außenstelle. Die Mitarbeiter bringen die Signaltonnen, die durch das Eis verschoben worden sind, wieder in Postition. Die Besatzung winkt herüber, Küster und Krüger grüßen zurück, während der Seelöwe weiter braust. An den Seiten spritzen kleine Eisstücken in die Höhe, „manchmal muss man in Deckung gehen“, warnt Maschinenwart Boris Zenker bei einem Kontrollgang. Auch er genießt die Zeit des Eisaufbruchs. „Es macht Spaß, aber abends spürt man das Rütteln noch, obwohl man längst im Sessel sitzt.“ Ruhiger sind die Fahrten im Sommer, dann wird der Seelöwe als Schubfahrzeug genutzt.
Der 27 Meter lange Koloss ist an den Außenwänden mit Streben verstärkt, die Hülle besteht aus 15 Millimeter dickem Stahl. Am Bug befindet sich eine sogenannte Schubnase zum Eisaufbruch. Gebaut wurde das Schiff bereits 1973, es werde aber regelmäßig instand gesetzt, sagt Küster. So ist das Steuerrad nur noch für den Notfall da, gelenkt wird jetzt hydraulisch per Joystick. Der 305 PS-Motor kann das Schiff ein gutes Stück auf die Eisdecke schieben, bevor es sich wie ein Wal fallen lässt. „Wir brechen nur, wenn es wirklich nötig ist“, erläutert Thomas Krüger, denn wenn die Schollen zusammenfrieren, werde die Decke noch dicker. So halte das Schifffahrtsamt auch nur den Wasserweg nördlich Potsdams frei, die Havelseen im Süden müssen von selbst tauen.
Offenbar warten nicht nur die Binnenschiffer auf den Seelöwen: Unweit der Fahrtrinne auf dem Treibeis hat sich ein Seeadler in Position gebracht und lauert auf Beute. „Die sieht man jetzt wieder öfter“, sagt Küster. Er sieht zufrieden aus, wer sonst kann solche Augenblicke während des Dienstes erleben? Das hat sich der Schiffsführer hart erarbeiten müssen: Mit 15 hat er die Ausbildung begonnen, war jahrelang als Schiffsjunge auf den Wasserstraßen Europas unterwegs, bevor er mit 21 die Matrosenprüfung ablegte. Danach hat er nochmal die Schulbank in Hamburg gedrückt und schließlich das Kapitänspatent erworben. „Am Ende war ich 24 000 Mark ärmer, aber stolzer Schiffsführer“, erinnert er sich.
Mittlerweile ist der Seelöwe wieder in Potsdam eingetroffen. Routiniert steuert er auf die Anlegestelle unter der Humboldt-Brücke zu. Für Kapitän und Maschinist ist die Schicht aber noch längst nicht zu Ende, sie fahren weiter in Richtung Berlin. Thomas Krüger geht von Bord. Er wird die Strecke in seinem Revier für den Güterverkehr freigeben, wenn auch mit dem Verweis auf schwere Behinderungen. Die werden aber weiter zurückgehen: Mit Hilfe der Temperaturen, der Strömung und dem wackeren Seelöwen.
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