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KulTOUR: Im Schatten der Großen

Deutschdeutscher Autor Joachim Schädlich im Huchelhaus in Wilhelmshorst

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Michendorf · Wilhelmshorst - „Kein Prunk, kein falscher Schmuck, kein Kokettieren mit dem Leser – klare, gute Sprache“, so warb das Wilhelmshorster Peter-Huchel-Haus jüngst für die Begegnung mit Hans Joachim Schädlich. In eingeweihten Kreisen muss dieser Autor, Jahrgang 1937, ziemlich bekannt sein, Moderator Karim Saab jedenfalls näherte sich seiner Vita mit größtem Respekt. Eigentlich das Übliche: Geboren im Vogtland, Germanist mit verblichenem Hang zu idiomatischen Themen, literarische Arbeiten, Debütveröffentlichung („Versuchte Nähe“, 1977) mit Hilfe von Günter Grass und Sarah Kirsch bei Rowohlt, im gleichen Jahr Umsiedlung in die BRD. Zuvor nahm er an geheimen Schriftstellertreffen in privaten Wohnungen Ostberlins teil, zu denen, seit August 1974, neben Grass solche Größen wie Max Frisch und Uwe Johnson kamen.

Wer seitens der DDR dabei war, wollte Schädlich nicht sogleich einfallen. Die Stasi äugte zwar, griff aber nicht ein. Über sein Tun im Westen Deutschlands erfuhr man etwas weniger: Deutsche Akademie Rom, ein guter Streit mit dem „Blechtrommel“-Erfinder, weil dieser dem selbstgebackenen Dissidenten in „Ein weites Feld“ Schädlichs literarische Figur des Talhofer als Hoftaler „weiterschrieb“ – Schriftsteller zanken sich ja gerne. Berühmte Namen geisterten ehrfurchtgebietend durch den Leseraum: Marcel Reich-Ranicki, Hans Werner Henze, Erich Ahrend, „Menschenverkäufer“ Wolfgang Vogel, der auch ihm „herüberhalf“.

Und da war noch die Sache mit seinem Bruder, Historiker und IM. Dieser verschaffte sich mit des Autors gutem Namen Zutritt zu Grass in Westberlin, um jenen „auszuspionieren“. Als die Stasiakten eingesehen werden konnten, kam es zum Bruch: Stolz erzählte Schädlich, mit seinem „B.“ seit 1992 kein Wort mehr gesprochen zu haben. Auch mit dem erstklassigen Vermarkter eigener Bücher überwarf er sich, als Grass „den blöden Ossis“ Geschäftsunfähigkeit bescheinigte. So ist er eben.

So geht es zu im Club der Abtrünnigen, welche sich oftmals besser dünken als die daheimgebliebenen Kämpfer der Feder. Sämtliche DDR-Literatur allein durchs Nadelöhr „Stasi“ zu fädeln ist billig genug: Dissidentische „Staatskritik“ als Qualitätsmerkmal für Literatur? Viele Wilde von damals sind ja die Zahmsten von heute. Man hätte sich, in Frage und Schrift, mehr literarische Auskunft gewünscht, als nur die persönlichen, teils recht eitlen Statements zu hören.

Die Lesung aus seinem neuesten Buch „Vorbei“ fiel also etwas kürzer aus. Es handelt sich um drei mit germanistischer Präzision recherchierte Erzählungen, deren Protagonisten allesamt „auf das Ende dreier Leben zugehen“, so die Ankündigung. In „Tusitala“ will der schottische Arzt Clark den Schriftsteller Stevensen auf Samoa besuchen. „Torniamo a Roma“ wendet sich Winckelmann zu, dessen graecophiler Satz „edle Einfalt, stille Größe“ etliche Generationen bis heute verwirrt. Schädlich las die gekürzte Fassung von „Concert spirituel“ vor mehr als fünfundzwanzig Hörern sehr eindrucksvoll, eine Beschreibung äußerer Lebensumstände des böhmischen Komponisten Antonio Rosetti. Prosa wechselte mit Dokument, Erfundenes mit Wirklichem, was manchen Leser dazu verleitet habe, das Reale als Fiktion, die Fiktion als Reales zu identifizieren, so der Autor. Ein Qualitätsmerkmal vermutlich. Natürlich haben diese Figuren viel mit ihm selbst zu tun. Besonders in Rosetti, 1792 gestorben, sieht er einen Künstler ganz im Schatten der Großen, von Mozart und Haydn.

Gerold Paul

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