KulTOUR: Im Unterton von Glück
Harald Hartung und Christian Lehnert mit ihrer Lyrik im Huchel-Haus
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Michendorf · Wilhelmshorst - Woran erkennt man eigentlich „gute Ge- dichte?“, wollte Moderator Renatus Deckert jüngst von dem gestandenen Lyriker, Herausgeber, Literaturwissenschaftler und Kritiker Harald Hartung wissen. Schließlich war der jüngste Leseabend im Wilhelmshorster Huchel-Haus mit einer Zeile seiner Feder ausgeschrieben: „Langsamer träumen“.
Erklärtes Ziel des Veranstalters war es, dem Publikum „zwei der interessantesten deutschen Lyriker der Gegenwart“ vorzustellen. Der andere, Christian Lehnert aus Sachsen, hat Theologie studiert, Religionswissenschaften und Orientalistik. Zu den aushäusigen Leuten zählend, nahm er an archäologischen Ausgrabungen in Nahost teil, durchstreifte auch die Wüste, welche er vielfach beschrieb. Stets auf der Suche nach den tieferen Schichten des Lebens, sieht er „im Graben“ sogar „ein stetiges Gebot“.
Ganz unterschiedlicher Herkunft und Alters, vereint sie (was beide ins Huchel-Haus führte) perfektes Handwerk, Formsinn, vielleicht auch Bedeutung. Genau das aber erwies sich in den zwei Lesestunden als etwas schwierig. Man wundert sich ja nach wie vor, warum sich Lyrik älteren Datums beim Hören oftmals besser erschließt als zeitgenössische.
Mit leichtem Bedauern ist also zu bekennen, mehr von der Vitalität der Autoren mitgenommen zu haben als von ihrer Literatur, zumal man immer wieder aus „Zyklen“ vorgelesen bekam, deren Zusammenhang sich im Vortrag einzelner Stücke natürlich nicht erschloss. Ein Dauerproblem solcher Veranstaltungen, vielleicht sollte man die Gäste nicht gar so schweifen lassen?
In die Wüste wurde man nicht gleich geschickt, als Christian Lehnert las. Die „Bruchzonen“ dieses Areals erwiesen sich ja schnell als Binnenlandschaften, sein theologisch geschulter Blick als kontemplativer Weg zum Elementaren, oder als Ich-Kommentar. Keine leichte Kost dem Ohr. Als er dann eigene Übertragungen alter Beduinengesänge vortrug, wie er sie an ihren Lagerfeuern erlauschte, regte sich auch das Publikum: Klage über den Verlust der Angebeteten, liebevolle Elogen an das eigene Kamel als Trost, zuletzt gewaltiges Selbstlob, das war lebendiger als die Beschreibung der Flechten am Ende des Jakobsweges im spanischen Finisterre oder die ungärtnerischen Darstellungen von Giersch und Tomate.
Immerhin schätzte Hans Werner Henze den Formwillen des Dresdners (Jahrgang 1969) derart, dass er ihn bat, das Libretto zu seiner neue Oper „Phaedra“ zu schreiben, sie hatte in Berlin soeben Premiere.
Was dem Jüngeren die Gegenwart, ist dem 1932 geborenen Ruhrpöttler Hartung die Vergangenheit. Als Germanist lernte er „Form“ von der Pike auf, schrieb aber das Wichtigste mit einem „Unterton von Glück“ erst in den letzten Jahren, denn „im Alter wacht die Kindheit auf“. Mit Ironie und Hintersinn las er also Erinnerungen an die Knabenjahre in Prag, an die Heimkehr des Vaters, aber auch Gedichte über die „arme Kunst“, was sich gut unter „Aktennotiz meines Engels“ ablegen ließ. Er verhielt sich dabei wie ein Klassiker, strahlte Abgeklärtheit aus, doch wo der erklärte Sonett-Liebhaber beim Dichten den rechten Proporz von Form und Inhalt vergaß, schien diese „Klassik“ eher ein Synonym für Erstarrung zu werden.
Die Merkmale guter Lyrik? Ein gutes Gedicht sei komplex, sagte Hartung, es lasse beim ersten Lesen „was aufscheinen“. Das leuchtete am Mittwoch jedermann ein. Am Schluss waren beide gebeten, ein fremdes vorzutragen. Christian Lehnert las Novalis, Harald Hartung aber, mit einem Unterton von Glück, las – Lehnert!
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