Potsdam-Mittelmark: Im Zeichen der Sonnenblume
Marianne Birthler war Gast eines Predigtgesprächs beim Kreiskirchentag in Rieben
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Beelitz - „Diese Kirche steht allen Menschen offen, so wie Jesus ohne Vorbedingungen offen war für die Menschen, die zu ihm kamen“, heißt es in einem Informationsblatt für die Besucher der Kirche in Rieben. Außen wieder hergerichtet, innen noch Baustelle, stand sie am Sonntag tatsächlich „mitten im Dorf“. Beim Kreiskirchentag konnte schon mal geprobt werden, was nach ihrer Fertigstellung festgelegt ist, die gemeinsame Nutzung durch die christliche und die kommunale Gemeinde. Entsprechend auch die Jahreslosung nach Johannes (14.19) „Ich lebe und ihr sollt auch leben“.
Dank einer Keramikwerkstatt, die zum Anlass Plaketten verkaufte, war die Zahl der Besucher gut zu ermitteln: Etwa fünfhundert kamen aus einem Kirchenkreis, welcher von Saarmund bis Treuenbrietzen reicht, zwölf Dörfer und 47 Gemeinden umfasst. Das spiegelte sich im Umfeld der Kirche wider: Vom Fläming machte eine Initiative für eine gentechnisch freie Landwirtschaft mobil, Treuenbrietzens Johanniter warben für einen Waldgottesdienst, die Polizei um Prävention, ein Kirchenblatt um Mitglieder, die Beelitzer Initiative für Tschernobyl-Kinder um Spenden. Sogar die Babelsberger „Ultras“ zeigten im Schlepptau des Fußballers Karl Liebknecht ihre Flagge – trotz diakonischer Trägerschaft mächtig „links“.
Für eine Videodokumentation dieses „Treffpunktes Leben“ fanden sich keine Jugendlichen, dafür wurde den Kindern viel geboten. Blas- und Panflötenmusik für alle, offizielle und inoffizielle Reden, Kirchenfunktionäre und etliches Volk beiderlei Gemeinden – „Ich lebe und ihr sollt auch leben“. Weil Mitte der neunziger Jahre eine Sonnenblume auf der einstigen Ruine emporwuchs, wurde sie auch zum Symbol dieses verregneten Kirchentages gemacht.
Neben Gesprächen, jeder Menge Kaffee und Kuchen stand eine Art Gottesdienst im Zentrum, allerdings nicht in der Kirche, sondern in einem weißen Festzelt gleich nebenan. Der erste Teil unter dem Thema „Was bedeutet Salz der Erde / Licht der Welt sein?“, im zweiten experimentierte der Veranstalter ein wenig. Marianne Birthler, vom Bund mit der Verwaltung der Stasi-Unterlegen beauftragt (zugleich Erfinderin des LER-Unterrichtes), stellte sich den Fragen des in Soziologie und Theologie geschulten Journalisten Thomas Prinzler, Wissenschaftsredakteur beim RBB-Inforadio.
Dieses „Predigtgespräch“ beleuchtete das Verhältnis von Kirche und Staat dereinst und jetzt, naheliegend, wo man zu Rieben denselben Schulterschluss übt. In der DDR, so die gelernte Katechetin, habe man unter den Dächern (nur weniger) Kirchen zwar „Freiräume“ gesucht, um gesellschaftliche Tabu-Themen zu besprechen, „ein Hort des Widerstandes“ seien sie aber nicht gewesen. Ungerecht empfindet sie die staatliche Bevorzugung (Kirchensteuer-Regelung) der beiden Amtskirchen gegenüber jüdischen oder islamischen Einrichtungen, aber sie sieht auch Gefahr, wenn sich Staat und Kirche zu nahe kämen: Letztere müsse etwas „ganz Eigenes“, müsse „eine Kirche der Armen und Benachteiligten bleiben“. Auf die „Spielregeln“ käme es an.
Sie wich aus, als Prinzler („der Staat, das sind wir“) nach Freiräumen für heutige Tabuthemen fragte: Sie wolle „keinen Konflikt herbeiphantasieren“. Fürbitten wie „Gewaltlose Unterstützung für die, die gegen Gewalt Widerstand leisten“ oder „Eintreten für die Versöhnung der Religionen“ im Ohr, verließ man Rieben an Sonnenblumenfeldern entlang. Stand nicht geschrieben, das Evangelium solle allen Völkern gepredigt werden?
Gerold Paul
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