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Potsdam-Mittelmark: In der Welt zu Hause

Stahnsdorfer Großfamilie delegiert ihre Mitglieder ins Ausland und holt sich Fremde ins eigene Heim

Stand:

Stahnsdorf - „Von außen sieht man ganz anders auf sein eigenes Land“, sagt die 17-jährige Helen Lieb. „Es schneidet dabei gar nicht so schlecht ab.“ Die Stahnsdorfer Schülerin möchte ihr Auslandsjahr in Norwegen auf keinen Fall missen, auch wenn nicht immer alles eitel Freude und Sonnenschein war. Man brauche mindestens drei, vier Monate um Freundschaften zu knüpfen, meint sie. Die Gasteltern seien zwar sehr nett gewesen, hätten aber den ganzen Tag gearbeitet. Da sei sie manchmal schon einsam gewesen und die langen dunklen Winternächte hätten aufs Gemüt gedrückt. „Aber man lernt auch, was man selbst drauf hat und wird schneller erwachsen. Auch toleranter“, erzählt das junge Mädchen ganz offen.

Dabei war Helen gut auf ihren Auslandsaufenthalt vorbereitet. Ihr Volkshochschul-Norwegisch habe für die Bewältigung der Alltagsprobleme gereicht und sie habe schnell hinzugelernt. Zuletzt hätten die Leute in Sandefjord sie nicht einmal mehr für eine Deutsche gehalten, eher für eine aus einem anderen norwegischen Landstrich. Längst hat sie Freunde gefunden, mit denen sie weiter Verbindung halten will und bald bekommt sie auch einen norwegischen „Bruder“.

Denn Familie Lieb delegiert nicht nur ihre Kinder ins Ausland, sie nimmt auch Austauschschüler auf. „Wir führen ein offenes Haus“, meint Sabine Lieb, die dieses Haus in Stahnsdorf zusammen mit Mann und acht Kindern und neuerdings auch noch einem Hund mit fröhlichem Leben füllt. Frau Sabine ist dabei nicht nur die Seele der Großfamilie, sondern auch noch beruflich als Physiotherapeutin tätig. „Zufassen muss bei uns jeder“, meint sie deshalb ganz selbstverständlich, „sonst wäre das alles gar nicht zu schaffen.“ Und darauf haben sich offenbar auch alle eingerichtet, denn die Familie macht einen sehr harmonischen, gastfreundlichen und weltläufigen Eindruck. Nicht alle sind gerade vor Ort. Die älteste Tochter Nastasja macht gerade ein juristisches Praktikum am europäischen Gerichtshof in Luxemburg, Sohn Arnaud studiert Wirtschaft in Paris und Florence schnuppert ins Hotelmanagement der USA hinein. Nach Helen soll auch Tochter Rahel ein Auslandsschuljahr absolvieren, diesmal wird Italien anvisiert. Die Mittelbrandenburgische Sparkasse wird es wahrscheinlich mit einem Stipendium möglich machen. Sie hat schon wie vielen anderen Helen finanziell unter die Arme gegriffen. Allein könnte die Familie solche Schülerpraktika nicht finanzieren, obwohl Familienvater Michael Schnorfeil als Krankenhausarzt sicher ein solides Gehalt nach Hause bringt. Die Verbindung zu Norwegen hat übrigens schon eine längere Geschichte, denn Sabine hatte ein norwegisches Kindermädchen und über sie das Land lieben gelernt. Allerdings reichte es bei Sabine nur zu Urlaubsstippvisiten. Das neue Familienmitglied aus Norwegen kennt die Liebs schon. Austauschschüler Harald wurde kurzerhand zum Urlaubmachen mit der Familie eingeladen. „Wir hatten noch Platz im Familienbus, da haben wir einfach angefragt, ob er mit will“, meint Sabine Lieb. Unkomplizierter geht“s wirklich nicht mehr.

Aber auch mit anderen Schwierigkeiten wird man die Familie fertig. Shangkari aus Malaysia, die längere Zeit bei den Liebs wohnte, waren sportliche Aktivitäten völlig fremd und obwohl sie behauptete, sie könne schwimmen, ging sie unter wie ein Stein. Unter Schwimmen hatte sie wohl etwas ganz anderes verstanden. Ein schneller Zugriff förderte sie erst wieder an die Wasseroberfläche. Aber schließlich wurde nicht nur ihr Deutsch besser, sondern auch das Erlernen fremder Gebräuche. Shangkari schwimmt inzwischen wie ein Fisch im Wasser und sie ging mit einem völlig anderem Körpergefühl nach Hause.

Die streng muslimisch erzogene Multi aus Borneo hat dagegen nach den deutschen Freiheiten einige Schwierigkeiten mit der eigenen familiären Enge, die vor allem für Frauen gilt. Sie sieht einen Ausweg durch ein Studium in Deutschland, während Shangkari Pharmazie in Malaysia studieren will. Der Aufenthalt in Deutschland hat die beiden auf alle Fälle selbstbewusster gemacht. Und so haben beide Seiten viel hinzugelernt.

Bleibt aber doch die Frage, wieso sich die Liebs, die ja mit Kindern, Beruf, Hund und Häuschen genug am Hut haben, auch noch der Pflicht unterziehen, Austauschschüler mit Land und Leuten und deutscher Lebensart bekannt zu machen? „Ich möchte, dass meine Kinder in einer netten Familie gut aufgenommen werden“ heißt die einfache und einleuchtende Antwort, „und da machen wir das gleiche mit anderen.“ Hella Dittfeld

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