
© Eva Schmid
Potsdam-Mittelmark: Karneval an Heiligabend
In Kenia wird getanzt, in Kamerun werden Palmen geschmückt, in Syrien gibt es Truthahn: Flüchtlinge erzählen
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Teltow - Es war so, als ob jemand den Stecker aus der Musikanlage gezogen hätte. Gespenstische Stille. So kam es Gerrish Ogutu-Obare aus Kenia vor, als er vor acht Jahren am ersten Weihnachtsfeiertag in Deutschland angekommen ist. Stille Nacht, Heilige Nacht – hochgeklappte Bürgersteige. Für den Kenianer, der heute mit anderen Flüchtlingen im Teltower Asylbewerberheim Weihnachten feiert, war das damals ein Schock. „Weihnachten ist bei uns wie Karneval“, sagt Gerrish Ogutu-Obare.
In Nairobi wird an den Weihnachtsfeiertagen getanzt, an jeder Ecke gibt es Musik, die Menschen schlafen kaum, erzählt der 43-jährige Kenianer. In seinem Land gehe die Feierei bereits am 12. Dezember los. An dem Tag wurde das Land von der britischen Kolonialmacht unabhängig. „Wissen Sie, das ist eine ganz große Sache“, erklärt er und kommt ins Schwärmen, wenn er von den afrikanischen Weihnachtsbräuchen erzählt. Am gestrigen Montag sauste er auf den Etagen der zwei Wohnblöcke in der Teltower Iserstraße umher und schrieb eine lange Einkaufsliste. Er will ein großes Weihnachtsessen organisieren – nicht nur für die Christen. Für den Großteil der Teltower Flüchtlinge sind die Festtage nichts Besonderes. Die aus dem Tschad, Somalia, Tschetschenien, Pakistan, Iran und Irak stammenden Flüchtlinge sind muslimischen Glaubens.
Weihnachten fernab der Heimat bedeutet nicht, dass alles anders ist. Im Gegenteil – manche afrikanischen Weihnachtsrituale sind den deutschen ähnlich, wie das Weihnachtsbaumschlagen. Gerrish Ogutu-Obare erzählt von Kenia: Statt Handschuhen und Schal hatte er immer ein Handtuch dabei, um sich bei 26 Grad den Schweiß von der Stirn zu wischen. Ja, echte Weihnachtsbäume gebe es auch in Kenia, sagt er stolz. Und auch einen Weihnachtsmarkt könne Nairobi bieten. Glühwein, nein – so was gebe es dort natürlich nicht. Aber Geschenke zu günstigen Preisen, daher sei auf dem Markt vor den Festtagen stets reger Betrieb.
Auch in Kamerun werden zum Fest die Straßen und Häuser geschmückt – statt Tannen kommen dort aber Palmen zum Einsatz, an denen Lichterketten baumeln. „Und man geht oft in die Kirche“, sagt der 21-jährige Victor Gerard Ewoume, der aus der kamerunischen Wirtschaftsmetropole Douala stammt. Die Messen an Heiligabend und am ersten Weihnachtsfeiertag seien Pflicht. Der Flüchtling aus Kamerun feiert bereits das zweite Jahr in Deutschland – heute ist er bei Landsleuten in Berlin eingeladen. Aufgetischt wird ein Gericht, das aus Maniok bestehe. Das Mehl aus einer Wurzelknolle wird zu einem Brei verarbeitet, der mehlig bis leicht süßlich schmeckt.
Einer der wenigen Tannenbäume im Teltower Asylbewerberheim steht im rosaroten Zimmer der sechsjährigen Zena. Festlich hat sie ihre kleine Tanne geschmückt. Es ist nicht die große Tanne aus Plastik, die sie sonst immer zu Hause in Damaskus hatten. Erst vor sechs Monaten ist sie mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland geflüchtet. Früher haben sie mit ihren christlichen Nachbarn gefeiert, sie selbst seien nicht religiös, sagt die Mutter des Mädchens, Lama Ahmad. In diesem Jahr sei ihnen angesichts der furchtbaren Lage in ihrer Heimat aber nicht nach Feiern zumute. „Unserer Tochter wollen wir aber das Gefühl geben, dass sie sich zu Hause fühlen kann.“
Daher haben die Eltern für Zena und ihren zweijährigen Bruder einen kleinen Baum gekauft. Und Zena darf sich zum Fest auch ihr Lieblingsgericht wünschen. „Das ist dann entweder Nudeln mit Sahnesoße und Hähnchen oder ein Besuch bei McDonald’s“, sagt ihre Mutter. Traditionell würden viele syrische Familien an Weihnachten Truthahn essen, davon werde eine große Familie satt.
Ein Stockwerk über der syrischen Familie tischt Gerrish Ogutu-Obare heute eine typische kenianische Speise auf. Ugali und Sukuma Wiki, einen Getreidebrei aus Maismehl und Kohlgemüse. „Sukuma Wiki bedeutet wörtlich übersetzt durch die Woche kommen“, sagt der 43-jährige Kenianer. Der Kohl sei günstig und nahrhaft, wie das Maismehl auch. Und die Zutaten gibt es auch in Deutschland: „Eine Packung Maismehl für 45 Cent“, sagt Gerrish Ogutu-Obare und grinst.
Das einfache kenianische Essen tischt er aber nur aus Heimweh auf. Was traditionell in Kenia zu Weihnachten gegessen werde, sei von Stamm zu Stamm unterschiedlich. Gerrish Ogutu-Obare stammt aus einem Ort nahe des Viktoriasees. „Da essen wir viel Fisch, daher gibt es Weihnachten etwas anderes.“ Und zwar: gebratenes und gekochtes Hühnchen, aber auch Hühnersuppe. Dazu eine große Schüssel Reis. Bloß kein Ugali und Gemüse – das esse man ja schon jeden Tag.
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