
© Thomas Lähns
Superintendent von Mittelmark-Brandenburg: „Kirche darf sich nicht wegducken“
Siegfried-Thomas Wisch, Oberhaupt des Kirchenkreises Mittelmark-Brandenburg, über seine Ziele, die DDR-Zeit und Märtyrer
Stand:
Sie sind am Sonntag in Ihr neues Amt eingeführt worden und als Superintendent von Mittelmark-Brandenburg jetzt für 30 000 Christen zuständig. Mit welchem Anspruch gehen Sie an die Arbeit?
Eine der großen Herausforderungen ist es, die Arbeit der Kirche flächendeckend aufrecht zu erhalten. Vor allem in Zeiten des demografischen Wandels dürfen wir uns nicht zurückziehen, sondern müssen weiterhin nach außen erkennbar sein. Es wird sehr genau registriert, was bei uns passiert, auch von Nichtmitgliedern. Deshalb ist es auch wichtig, dass die Mitarbeiter im Verkündigungsdienst – also die Pfarrer, Gemeindepädagogen und Kirchenmusiker – fröhlich das Evangelium verkünden, mit dankbarem Herzen.
Worin liegen Ihre Aufgaben?
In erster Linie darin, für die Mitarbeiter und die Gemeinden da zu sein, für die Verwaltung zu sorgen – und dafür, dass das Schiff Kirche nicht auf Grund läuft, sondern in gutes Fahrwasser kommt. Der Kirchenkreis ist solide aufgestellt, meine Vorgänger haben gute Arbeit geleistet. Der Fusionsprozess der drei ehemaligen Kirchenkreise war hart und schwierig, aber es ist gut, dass man sich dazu durchgerungen hat. Nun muss man sehen, wie sich alles weiter zusammenführen lässt. Ich komme nicht mit fertigen Konzepten, sondern will es mit den Mitarbeitern und den Gemeinden vor Ort entwickeln.
Was wird sich für die Mitglieder ändern?
Formal wenig – aber ich wünsche mir, dass wir uns als Ganzes verstehen und man wahrnimmt, was eine Gemeinde im Nachbarbereich macht. Wir müssen integrative Maßnahmen finden die dazu führen, dass jeder sagen kann: Das sind wir, das ist der Kirchenkreis Mittelmark-Brandenburg. Jede Gemeinde hat etwas Besonderes, ist ein Schatz für alle. Bei den kleineren Landgemeinden gibt es manchmal die Angst, dass sie hinten herunter fallen. Das wäre fatal. Auch hier gilt es, Wege und Strukturen zu entwickeln, wie wir noch 2020 als Kirche gut sein können. Wir haben ja eine schöne Sache zu vermitteln, und das sollen die Leute merken.
Welche Rolle spielt der missionarische Gedanke für Sie?
Das Wort ist leider etwas negativ besetzt. Es geht nicht darum, mit der Bibel in der Hand herumzulaufen und Leute zu bekehren. Wir haben einen Schatz, den wir jedem eröffnen wollen – was er damit macht, ist ihm ja selbst überlassen. Wir wollen den Menschen Räume eröffnen, sie sollen wissen, was sie nicht wissen.
Die Säkularisierung in den Neuen Ländern wird oft mit der DDR-Vergangenheit begründet. Sie stammen aus einer Pfarrers-Familie, sind während der SED-Diktatur aufgewachsen. Wie sind Ihre Erfahrungen?
In der ehemaligen DDR wurde ja oft knallhart gesagt: Wenn du dein Kind nicht aus der Christenlehre nimmst, hast Du keine Chance. Wer nicht in der FDJ war oder Bausoldat wurde, bekam die Repressalien unmittelbar zu spüren. Ich habe erlebt, wie sich unter dem politischem Druck Gemeinden gänzlich zurückgezogen haben. Es hat dann viel Mühe gekostet, sie aus ihrer Nische heraus zu holen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken.
Sie haben zuletzt fast 15 Jahre in einer Region des Kirchenkreises Naumburg Zeitz gearbeitet. Welche Rolle spielt für die Menschen dort das Fanal von Pfarrer Oskar Brüsewitz, der sich 1976 aus Protest gegen das SED-Regime vor der Michaeliskirche selbst verbrannt hat?
Viele ältere Leute erzählen noch von ihm. Die Erinnerung ist unterschiedlich besetzt: Für viele war er der Revolutionär in der DDR-Kirche. Aber Menschen, die vor Ort waren und ihn gekannt haben, sagen: Er war auch eine schwierige Persönlichkeit. Man kann versuchen, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen – aber man kann auch den Dialog suchen. Es ist immer eine Gratwanderung. Was ich an Brüsewitz toll finde, ist, dass er zu Lebzeiten den Finger in die Wunde gelegt hat.
Wie lässt sich sein Freitod aus christlicher Sicht bewerten – war er nicht Sünde?
Oskar Brüsewitz hat sich zum Märtyrer gemacht. In der evangelischen Lehre ist das nicht erstrebenswert – und auch nicht notwendig. Denn für uns ist Jesus Christus gestorben, das brauchen wir nicht zu wiederholen.
Wie politisch ist Kirche heute noch?
Sie ist politisch, sie ist aber nicht parteipolitisch. Kirche muss ihre Stimme bei Ungerechtigkeit erheben. Sie werden von mir schon ab und zu hören, dass ich zum Beispiel ein Problem habe mit dieser Teilzeitarbeit. Wenn eine Frau oder ein Mann acht Stunden am Arbeitsplatz steht und es nicht reicht, um die Familie zu ernähren, muss man das hinterfragen. Ein anderes Beispiel ist der Umgang mit Rechtsextremismus: Wenn Leute gegen die Menschenwürde verstoßen, müssen wir ein klares Wort sprechen – dürfen aber gleichzeitig nicht den Kontakt zu ihnen verlieren. Deshalb habe ich auch meine Zweifel, ob das NPD-Verbot der richtige Wege ist, denn die Gesinnung bekommt man damit nicht weg. Wir müssen die Demokratie so stark machen, dass die Gesellschaft von selbst erkennt, wie menschenverachtend die Rechtsextremen sind. Die Kirche darf sich da nicht wegducken.
Ein Problem ist auch der um sich greifende religiöse Fanatismus. Wie lässt sich der Zulauf, den islamistische Gruppen auch in Deutschland haben, erklären?
Sie suggerieren, dass sie Lösungen haben. Es ist leichter, schwarz-weiß zu malen als in den Farbtönen des Lebens. Die Welt ist komplexer geworden, es gibt immer mehr Bereiche, von denen sich Menschen ausgeschlossen fühlen. Darum müssen wir als Kirche eine verständliche Sprache sprechen. Die Menschen suchen Antworten. Wir müssen Auskunft geben, wenn Lieschen Müller fragt: „Komme ich nun in den Himmel oder nicht?“
Ist denn die Antwort so einfach?
Das ist sie natürlich nicht. Aber wenn ich ihr sage, dass der Liebe Gott gnädiger ist, als wir es uns jemals vorstellen können und dass wir alle hoffen können, irgendwann bei ihm zu sein – dann, glaube ich, kann sie damit leben und auch sterben.
Das Interview führte Thomas Lähns
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