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Potsdam-Mittelmark: Klassische Muggen

Kirchen sind ihre Bühne, das Fagott ihr Begleiter. Und Ostern und Weihnachten sind für Ulrike Dinslage viel Arbeit

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Kirchen sind ihre Bühne, das Fagott ihr Begleiter. Und Ostern und Weihnachten sind für Ulrike Dinslage viel Arbeit Von Peter Könnicke Stahnsdorf. Wenn das Telefon still steht, ist das für Ulrike Dinslage „ganz furchtbar“. Denn mit jedem Klingelton könnte ein Auftrag locken. Eine „Mugge“, wie sie sagt. Dass die Fagottistin ein Konzert zur Passionszeit genauso wie eine Rockband ihren Auftritt eine Mugge nennt, mag für das klassische Terrain fremd klingen. Doch „Mugge ist Mugge“, sagt die Musikerin. In den vergangenen Wochen hat das Telefon oft geklingelt. Die Passionszeit lässt nach dem Winter wieder Beethoven, Mozart oder Schubert in den Kirchen erklingen. Auch in Stahnsdorf eröffnen der Förderverein Südwestkirchhof und die hiesige Kirchengemeinde gemeinsam die diesjährige Konzertsaison mit „Musik zur Passionszeit“, zu der ein Fagott gehört wie das Amen in der Kirche. Dass Ulrike Dinslage Fagott spielt, ist auf ein „rein praktisches Problem“ zurückzuführen. Das Instrument öffnete ihr den Tür zum Orchester ihrer damaligen Schule, in dem die Stelle des Fagottisten noch unbesetzt war. „Ich wollte da unbedingt rein, nicht wissend, worauf ich mich eingelassen habe.“ Denn die erste Begegnung mit dem hölzernen Instrument brachte ihr die Erkenntnis, „dass das Ding wahnsinnig schwer ist“. Sie hat die Herausforderung geschultert. „Man ist das Fundament“, beschreibt sie heute ihre musikalische Rolle bei einem Auftritt. Und was ihr beim Eintritt ins Schulorchester „gar nicht so klar war“, wird ihr heute mit jeder Anfrage nach einem Konzert bestätigt: „Ein Fagott wird immer gebraucht.“ Es war vor fünf Jahren, als Ulrike Dinslage für eine Probe einen geeigneten Ort suchte und sich die Stahnsdorfer Dorfkirche durch ihre „tolle Akustik“ empfahl. Dinslages Verwunderung und das Bedauern von Pfarrer Edert, dass in der Kirche keine Musik gemacht wird, war der Beginn einer jährlichen Konzertreihe. Diese erfährt in diesem Jahr ihre 6. Auflage. Fünf bis sieben Konzerte erklingen hinter den Mauern der Feldsteinkirche, die zu den ältesten Bauwerken der Region zählt. Meist kommen 20 bis 30 Gäste, es waren auch schon mal 60 Besucher – vor allem Berliner. „Es ist nicht ungewöhnlich, dass es so wenig sieht“, weiß Dinslage mit den nicht üppig gefüllten Zuschauerbänken zu leben. Als „Klassik für Jedermann“ beschreibt Dinslage die von ihr organisierten Konzerte, für die sie bekannte oder befreundete Musiker um Unterstützung bittet. Zwischen den Stücken bemüht sie sich um etwas Moderation. „ich erzähle etwas über die Komponisten und ihre Musik.“ Mit „leichter Kost“ will sie und ihre Kollegen unterhalten, für die Künstler selbst ist es ein hartes Brot. „Man macht es, ums sich zu zeigen und weil es eine gute Übung ist“, sagt Dinslage, die vor knapp sieben Jahren von Berlin nach Stahnsdorf zog. Reich wird man mit Klassik auf dem Dorfanger nicht. Die Gage für die acht Künstler, die am ersten April-Wochenende in Stahnsdorf musizieren, beträgt insgesamt 1000 Euro. Die Musikauswahl – mit dem Beethoven-Septett habe Dinslage „eher mal etwas Weltliches gewählt“ – gefiel dem Bassisten dann auch noch so sehr, dass er meinte, er könne schon einmal umsonst auftreten. Die Musik wurde Ulrike Dinslage keineswegs in die Wiege gelegt. Ihre Eltern, die sechs Kinder großzogen, zählen zur Nachkriegsgeneration: „Da wurde keine Musik gemacht.“ Sie selbst begann mit fünf Jahren zu musizieren, zunächst auf der Blockflöte, dann auf dem Klavier, bis schließlich das Fagott mit seinem „tiefen, warmen Klang“ sie zum Bewerbungsgang an die Berliner Hochschule der Künste begleitete. Heute nennt sich Ulrike Dinslage Diplom-Fagottistin, sie unterrichtet an der Musikschule Steglitz und muggt jährlich auf etwa 20 Konzerten. Vor allem die Wochenenden in der Osterzeit und um Weihnachten sind ausgebucht. Zwischenzeitlich spielte sie im Deutschen Filmorchester und in der Potsdamer Philharmonie. „Das ist nicht meine Welt gewesen“, blickt Dinslage mit gemischten Gefühlen zurück. „Da brauchst du ein Durchsetzungsvermögen wie auf dem Fußballplatz.“ Heute könne sie sich die Leute aussuchen, mit denen sie spielt. „Das ist ein großes Privileg.“ In der turbulenten Welt der Musik, wo vermeintliche Stars von heute schon morgen niemand mehr kennt, ist die Klassik für Ulrike Dinslage der beste Überlebenskünstler. Sie werde über Generationen weitergegeben, weil es Qualität ist. Klassische Musik werde allein deshalb nicht sterben, weil es immer Ostern und Weihnachten geben wird. „Man darf die Suche nach Vertrautem nicht unterschätzen“, ist Dinslage überzeugt, dass irgendwann ein Lebensmoment von einer klassische Note begleitet wird. Gemeinsam eröffnen der Förderverein Südwestkirchhof (4. April, 15 Uhr) und die Kirchengemeinde Stahnsdorf mit „Musik zur Passionszeit“ (3. April, 18 Uhr) die Konzertsaison. Aufgeführt werden das Stabat Mater von Marc Antoine Carpentier und das Ludwig van Beethoven-Septett.

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