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Silas Dech probiert sich an Routen in der neuen Boulderhalle „Boulder-Werft“

© Andreas Klaer

Klettern vor Havelkulisse: Neue Boulderhalle in Werder (Havel) öffnet

Bouldern boomt. Laut des Deutschen Alpenvereins öffnen jährlich etwa 20 Kletterhallen in Deutschland. In Werder startete am Samstag die Boulderwerft.

Während draußen Boote auf dem Havelwasser schippern, werden in der neuen Boulderhalle auf dem Gelände der Vulkan-Fiber-Fabrik nahe des Bahnhofs Werder (Havel) die letzten Klettergriffe geschraubt. Daniel Krüger, der gemeinsam mit seiner Frau Kristin Krüger die Halle betreibt, ist in Eile. Er läuft von rechts nach links, raus in den Flur und wieder rein. „Gleich kommt der Elektriker“, sagt er. Morgen muss alles stehen: erstmals öffnet die „Boulder-Werft“ dann ihre Türen für Besucher:innen.

In den zwei Hallen mit insgesamt rund 960 Quadratmetern Fläche im ersten Stock des alten Fabrikgebäudes mit großen Sprossenfenstern und Oberlicht wurden in den letzten Wochen reichlich Griffe in die Holzwände geschraubt. Rund 100 Kletterrouten gibt es. Allein im Kinderbereich, der sich in der hinteren Halle befindet, sind 30 mögliche Wege zu finden, die Wand anhand von verschiedenfarbigen und -förmigen Griffen die Wand hochzuklettern. Mitarbeiter Nikolai Gusev rechnet nach. „Das müssten dann ungefähr 1500 Griffe sein, die wir verbaut haben.“

„Crimp“ und „Sloper“

Wöchentlich wollen die Mitarbeiter:innen die Routen sektionsweise ändern, damit es nicht zu langweilig an der Wand wird. Dann werden Griffe wie „Crimp“, auf der nur die Fingerspitzen Platz finden, und „Sloper“, ein breiterer Griff, häufig in Form einer Halbkugel, auf dem man sich mit der Handfläche festhält, neu zusammengesetzt. Die Wände in der „Boulder-Werft“ sind gerade oder bis zu 55 Grad schräg - eine 90-Grad-Wand, also einen richtigen Überhang, findet man hier nicht.

Die Inhaber: Kristin und Daniel Krüger in ihrer „Boulder-Werft“.
Die Inhaber: Kristin und Daniel Krüger in ihrer „Boulder-Werft“.

© Andreas Klaer

Bis zu 4,50 Meter sind die Wände beim Bouldern hoch. Da man ohne Seil klettert, kann es weh tun, wenn man von oben runterfällt. Vor der Wand sind deshalb weiche Matten ausgelegt, die das Fallen etwas angenehmer machen.

Bouldern boomt

Bouldern boomt. Vor zehn Jahren hat sich der Sport stark ausgebreitet und auch Menschen angezogen, die zuvor gar nichts mit dem Klettern zu tun hatten, sagt Thomas Bucher, Sprecher beim Deutschen Alpenverein (DAV). Dem Verein zufolge ist die Kletterszene in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren deutlich gewachsen. Gab es 1990 geschätzt 70.000 Aktive, dürften es im Jahr 2021 mehr als 600.000 Kletter:innen in Deutschland sein. Der Verein geht von mehr als 300.000 Boulder:innen aus. „Bouldern hat sich irrsinnig entwickelt“, sagt Bucher. Die Zahlen aus Befragungen legten nahe, dass sich die Zahl der Aktiven allein im Zeitraum von 2013 bis 2017 verdoppelt habe.

Bouldern hat sich irrsinnig entwickelt

Thomas Bucher

Jährlich kommen seit 2012 deutschlandweit rund 20 Kletter- und/oder Boulderhallen hinzu. Nach DAV-Schätzungen gibt es ungefähr 535 künstliche Boulder- und Kletteranlagen, darunter 181 Boulderhallen. Allein in Berlin sind es mehr als zehn Boulderhallen. In Brandenburg gibt es welche in Potsdam und Oranienburg. In Potsdam-Mittelmark steht eine weitere Halle, in Wiesenburg/Mark, sie umfasst 190 Quadratmeter.

Braucht es da noch eine Halle in Werder? Aus Sicht von Daniel und Kristin Krüger auf jeden Fall. „Die Hallen in Berlin sind vor allem in den Abendstunden völlig überlaufen, man muss lange anstehen“, sagt Kristin Krüger, die selbst seit etwa zwei Jahren bouldert. Sie hätten auch schon viele Anfragen erhalten, vor allem für Boulderkurse. Leider fehlten den beiden aber noch Trainer, um solche Kurse anbieten zu können.

Nach Angaben des DAV ist ein Kurs zu Beginn nicht zwingend nötig. Einfach an bequeme Kleidung und Kletterschuhe denken, und schon könne es losgehen. Schuhe können Kletterer in der Boulder-Werft ausleihen. Ebenso Chalk, das weiße Pulver aus Magnesiumcarbonat, das man sich auf die Hände aufträgt, bevor es an die Griffe geht. Es bindet Schweiß. Boulderer haben dadurch mehr Grip.

Klettern an der Havel: In einer ehemaligen Fabrikhalle in der Vulkan-Fiber-Fabrik in Werder ist die „Boulder-Werft“
Klettern an der Havel: In einer ehemaligen Fabrikhalle in der Vulkan-Fiber-Fabrik in Werder ist die „Boulder-Werft“

© Andreas Klaer

In der Boulder-Werft können selbst die Kleinsten an die Griffe. Der Kinderbereich der Halle ist für junge Kletterer:innen ab sechs Jahren geöffnet. Auch Kindergeburtstage können dort gefeiert werden. Ein Erwachsener sollte aber auf bis zu zwei Kinder aufpassen können. Ab 14 Jahren darf man - mit Genehmigung der Eltern - auch alleine kommen.

Besonderheit: Therapeutisches Klettern

Eine Besonderheit, mit der sich die Halle an der Havel von vielen Boulderhallen in Deutschland unterscheidet: In der zweiten Halle befindet sich beim Trainings- und Aufwärmbereich eine medizinische Wand sowie eine sieben mal drei Meter große Kletterwand. Hier soll Klettertherapie angeboten werden. Silas Dech, Bewegungs- und Gesundheitswissenschaftler sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Regulative Physiologie und Prävention an der Uni Potsdam, freut sich, dass er eine Halle gefunden hat, bei der er bei der Gestaltung mitwirken konnte.

Mitarbeiter Nikolai Gusev schraubt an den letzten Kletterrouten
Mitarbeiter Nikolai Gusev schraubt an den letzten Kletterrouten

© Andreas Klaer

Klettertherapie, eine Form der Physiotherapie, soll unter anderem Menschen mit rheumatischen Erkrankungen, chronischen Rückenschmerzen und Haltungsschwächen helfen. Es wird bei der Kinderheilkunde, der Orthopädie, Sporttherapie und sogar als Bestandteil in der Psychotherapie angewandt, beispielsweise bei der Behandlung von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung).

Aktuell läuft an der Uni Potsdam eine Untersuchung, bei der eine Gruppe Jugendlicher mit Skoliose, eine Wirbelsäulenverkrümmung, gewöhnliche Physiotherapie bekommt, während die andere Gruppe Klettertherapie erhält. „Die Ergebnisse liegen noch nicht endgültig vor. Aber es sieht gut für die Klettertherapie aus“, sagt Dech.

Geöffnet ist die Halle sonntags bis donnerstags von 9 bis 22 Uhr, freitags und samstags bis 23 Uhr. An zwei Tagen in der Woche, wahrscheinlich mittwochs und freitags, wollen Daniel und Kristin Krüger die Halle bereits um 6 oder 6.30 Uhr öffnen - und testen, ob die Leute auch vor der Arbeit kommen.

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