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Potsdam-Mittelmark: Kräfte der Erde abgeschüttelt

Toru Yasunaga, Erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, mit Geige und speziellem Repertoire in Beelitz

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Toru Yasunaga, Erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, mit Geige und speziellem Repertoire in Beelitz Von Gerold Paul Beelitz. Was sollte man wohl „Hochkultur“ nennen, wenn nicht den entsprechend besetzten Konzertabend letzten Freitag im Beelitzer Tiedemann-Saal. Der örtliche Kulturverein hatte keinen Geringeren als den berühmten Geiger Toru Yasunaga ins Spargelstädtchen geladen, Erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker unter Claudio Abbado und Simon Rattle, seit 1983. Zusammen mit seiner Gattin Ayumi Ichino am Flügel gab man einen sehr erwählten Sonaten-Abend mit Werken von Mozart, Grieg und Frank. Wie die Kunstfreunde um Optiker Bernhard Knuth all die metropole Prominenz Stück für Stück in die „Spargelperle“ locken, bleibt weithin rätselhaft, schön hingegen, dass trotz des recht speziellen Repertoires fast einhundert Besucher kamen – und über die weitgehend gelungene Aufführung redeten: Wenn einem ,so etwas'' hautnah geboten werde, dann ginge man natürlich auch hin. Aber vielleicht war die eher landläufige und ungewohnte Umgebung Schuld daran, dass die „hochkarätigen“ Japaner zuerst kaum den Kontakt zu ihrem Publikum fanden und Mozarts Sonate für Klavier und Violine in G-Dur KV 379 (373a) alles andere als gelungen wirkte. Im Gegenteil, die um 1790 entstandene Komposition schien wie auf „kalter Geige“ gespielt, die Interpretation mit harten und viel zu lauten Pianostellen (die ja das Orchester vertreten) und einer nicht eben klangtiefen Geige so, als ob man eine Lesart von 1880 gewünscht hätte. Der Grundton jedenfalls war verhalten, die Wirkung eher mäßig. Edvard Grieg (1843-1907) wird eine der Landschaft und den Mythen des Nordens gemäße, eben elegische Gesinnung nachgesagt. Seine G-Dur Sonate für Violine und Klavier op. 13 aus dem Jahr 1867, oft und gern gespielt, bringt so manches davon zum Ausdruck. Alle drei Sätze variieren ein Allegro, alle beginnen mit einem Solopart für Piano, welches die Geige übernimmt und auf wunderlichste Weise ausführt. Elegant, verträumt, zährend und perlend das Lento doloroso zum Anfang, welches Grieg im Mittelteil zu fast monströser Dramatik aufbaut. Am Ende aber wirkt alles sehr leicht und schön, als seien die Kräfte der Erde nun abgeschüttelt. Im zweiten Satz streiten die beiden Instrumente ziemlich energisch, teils übernimmt das Piano sogar die Melodie-führung solo, nordische Motive drängen herauf, nach einem Aufbäumen klingt das Allegretto tranquillo äußerst sanft aus. Dunkel beginnt der Flügel den spannungsgeladenen Finalsatz. Kräftige Rhythmisierungen unterstreichen noch einmal den Kampf der Gravitation mit dem Licht. Sehr lyrische Passagen, wunderbar von Toru Yasunaga gegeben, elegantes Zusammenspiel mit seiner Gattin, ein fast bulliges Retardando, dann der denkbar zarteste Schlussstrich – drei Vorhänge für diesen Vortrag, darin sich der Norden so klar im Geiste der Welt widerspiegelt. Toll. Nach der Pause nahm das Konzert an Glanz und Intensität gar noch zu, mit César Franks (1822-1890) viersätziger Sonate für Violine und Klavier A-Dur von 1886. Auch ihm sagt man einen „personengebundenen“ Stil in der Chromatik nach. Sehr elegant die in warmen Moll-Tönen aufgebaute Motivik des ersten Satzes in ostinater Struktur, ein exzellenter Geigenstrich. Im kräftigen, manchmal sogar wildem Wechselspiel ergoss sich der zweite sehr unruhig, tiefe Piano-Part, sanfte Geigenlagen, der dritte war dem Soloinstrument gegeben, das war wir ein Hauch aus den Sphären. Im sehr ruhigen Finalsatz glaubte man, der Bogen würde die Saiten überhaupt nicht berühren, was soll man sagen. Das faszinierte Publikum rief die Künstler ungezählte Male zum Applaus. Sie dankten mit vier prachtvollen Zugaben, darunter Schnittkes „Pastoral im alten Stil“ und Jean Sibelius. Mögen sie bald wiederkommen, das wäre schön.

Gerold Paul

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