KulTOUR: Krüger versus Neumann
„Moderne Raubritter“: Ein Lustspiel von Otto Lilienthal im Kulturbahnhof
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Werder (Havel) - Just in dem Moment, als am Donnerstag in Werders Stadtgalerie die sehenswerte Ausstellung „Lilienthals Erben“ eröffnet wurde, erhob sich vor dem Schützenhaus auf der Insel eine maximale Turbinenfluglärmkulisse. Fluglärmgegner waren mit einem Original-Fluglärmgeräusche-Erzeuger angetreten. Das nennt man historisches Gedächtnis! Freilich kam der Protest so weit nicht: Schon das energische Engagement eines einzigen Wirtes vertrieb die Aktivisten. Vernissage Eins des Doppelprojektes „Überflug – vom Mühlenberg nach Schönefeld“ wurde also ein fast fluglärmgeschützter Erfolg.
Das konnte man auch über den anderen Teil des Ausstellungsprojekts einen Tag später im „Kulturbahnhof Caputh-Geltow“ sagen, der sich mit der „Flugverlängerung“ durch gute und schlechte Zeiten bis in die Gegenwart auseinandersetzt. So ziemlich alles, was sich zwischen Caputh und Werder jemals kulturelle Reputation erwarb, war vor Ort und applaudierte den offiziellen Reden. Kein Flugzeug am Himmel. Nur die Dieselaggregate eines versprengten Zuges Richtung Beelitz holte die allgemeine Fluglärm-Psychose in die Gegenwart zurück.
Nach der Vernissage offerierte die Werdersche Comédie Soleil den ersten Teil des Rahmenprogramms zur Ausstellung, eine szenische Lesung des Lustspiels „Moderne Raubritter“ aus Otto Lilienthals eigener Hand. Nadja Winter, Prinzipal Michael Klemm und Roman Gegenbauer lasen vor versammeltem Publikum leicht gekürzt, was der begeisterte Schauspieler und Mitbetreiber des Berliner „Ostendtheaters" im Jahr1896 für zweiunddreißig Darsteller aufgeschrieben hatte. Es handelt sich um einen naturalismusnahen Schwank „nach eigenem Erleben“, darin der selbstständige Möbeltischler Krüger aus Berlin in bewährter Haifisch-Manier zuerst über den Tisch gezogen und dann ruiniert werden soll. Der kreuzbrave Mittelständler erhält vom Großhändler Neumann die Option auf dreihundert Tische im englischen Stil. Als er nicht ganz pünktlich liefert, bringt ihn sein sauberer Geschäftspartner immer mehr in die Bredouille, bis er die ganze Fabrik als Ersatzleistung verlangt, Krüger könne darin ja als tüchtiger Meister weiterarbeiten. Erst das energische Eingreifen eines alten Schulfreundes lenkt die rundum existentielle Schief-Lage des gebeutelten Handwerkers wieder in die normalen Bahnen. Otto Lilienthal war ja nicht nur ein begabter Erfinder, er war auch selbst Unternehmer, ein ganz moderner sogar, der seine Arbeiter mit fünfundzwanzig Prozent am Gewinn beteiligte; auch davon spricht der Herr Krüger im Stück voller Seufzen. Leicht bearbeitet könnte dieser Schwank auch heute aufgeführt werden, die „freie Konkurrenz“ auf dem Markt hat ja seit den ach so seligen Gründerjahren keinen Reißzahn verloren. Raubritterschaft wird heute sogar schon geadelt. Interessant und zeitnah an der Konstellation Krüger-Neumann ist aber auch die menschliche Dimension. Glaubt der eine in geschäftlichen und allgemeinen Dingen noch immer an Treu und Glauben, so der andere nur an Vorteil und an Gewinn. Das leicht gezinkte Happy-End freilich dürfte mehr dem komischen Genre als der Wahrheit verpflichtet sein. Wie auch immer, die Comedie Soleil könnte so etwas spielen. Schon wegen des „historischen Gedächtnisses“.
Wiederholung der szenischen Lesung am Donnerstag, dem 28. Juli, in der Stadtgalerie Werder um 19 Uhr
Gerold Paul
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