Potsdam-Mittelmark: Künstlerspuren in der Villenkolonie
Beim Neujahrsspaziergang des Kleinmachnower Heimatvereins klopfte man der Prominenz an die Tür
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Kleinmachnow - „Manche Häuser haben Geschichte geradezu gepachtet“, sagt Ingo Saupe und bleibt vor dem Haus mit der Nummer 112 stehen. Das gehört eher zu den unauffälligen Gebäuden am Zehlendorfer Damm, der einst Machnower Chaussee hieß, bevor er 1926 in Eckener Damm umbenannt wurde – nach dem bekannten Luftfahrtpionier Hugo Eckener.
Eher Zufall war es wohl aber, dass in der 112, ein weiterer Luftfahrtpionier wohnte: Carl August von Gablenz. Der Mitbegründer der deutschen Lufthansa wurde durch seinen Pamirflug von 1937 berühmt. Über 2500 Kilometer betrug die Flugstrecke von Berlin bis zum chinesischen Nanking und zurück. Eine weltweit beachtete Pionierleistung sei das damals gewesen, berichtete Ingo Saupe, der sich am Sonnabend beim tradionellen Neujahrsspaziergang des Kleinmachnower Heimatvereins als kundiger Ortsführer vor rund 40 Teilnehmern erwies. Ihm zur Seite stand der Kleinmachnower Karikaturist und Buchautor Harald Kretzschmar, der manche Anekdote zu den prominenten Bewohnern der früheren „Villenkolonie Zehlendorf-Klein-Machnow“ beisteuerte.
Vorwiegend waren das Histörchen über Künstler, ein kleiner Vorgriff auf sein im Entstehen begriffenes Buch „Kommen und Gehen“. Auch zwei Bewohner aus der 112 gehören dazu: die irische Illustratorin und Autorin Elizabeth Shaw und ihr Mann, der Bildhauer René Graetz. Beide waren 1946 mit anderen Emigranten von London nach Berlin gekommen, wohnten dort zunächst im britischen Sektor Charlottenburg und zogen 1948 nach Kleinmachnow. Kretzschmar, der beide kannte, erzählte, dass Graetz in der DDR als Querdenker galt, was ihm mancherlei Schwierigkeiten einbrachte. So kritisierte er die Dogmen des Sozialistischen Realismus und appelierte an seine Künstlerkollegen, mehr der deutschen Tradition des Expressionismus zu vertrauen. Ihre britische Herkunft ermöglichte seiner Frau Elizabeth einen freieren Blick bei ihren Karikaturen für den Ulenspiegel, die herzhafter und frecher waren als die ihrer deutschen Kollegen. Ihr eigener Stil, Personen und Dinge charakteristisch zu erfassen und mit einfachen Linien darzustellen, prägte später auch ihre vielfach ausgezeichneten Kinderbücher. Später zogen die beiden Künstler nach Berlin-Pankow und in das Haus zog Professor Hermann Klare, Wissenschaftler auf dem Gebiet der Zelluloseforschung und Direktor des Teltower Institutes für Polymerforschung.
Zu den prominenten Emigranten, die es nach Kriegsende in Kleinmachnows Idylle zog, gehörten auch der Pianist Eberhard Rebling und seine Frau Lin Jaldati, eine jüdische Sängerin. Sie wohnten einige Jahre in der Geschwister-Scholl-Allee 58. Unweit davon, in die Nummer 53, war Jahre später (1962-1977) Elena Liessner-Blomberg gezogen. Dort hatte Kretzschmar ihre Collagen gesehen, die an Dada-Traditionen anknüpften, allerdings durch ihre klaren Formen einen neuen Klang erhielten. Doch auch in den Anfängen der Villenkolonie war Kleinmachnow ein begehrtes Refugium für Künstler wie eine Tafel am Rotklinkerbau in der Käthe-Kollwitz-Straße 7 ausweist. Im Oktober 1931 kaufte der Komponist Kurt Weill das Haus, nachdem die „Dreigroschenoper“ ein finanzieller Erfolg geworden war. Doch schon kurz nach der Machtergreifung der Nazis flüchtete Weill nach Frankreich und von dort in die USA. Seine Frau Lotte Lenya, bekannt geworden als Interpretin der „Seeräuber-Jenny“ in der Dreigroschenoper, folgte ihm 1934, nachdem sie das Haus verkauft hatte. Gleich um die Ecke, im Kiefernweg 11, wohnte von 1930 bis 1938 der vielseitige Künstler William Wauer. Er war Bildhauer, Maler, Redakteur und Filmregisseur. Seinen damaligen Nachbarn ist aber neben der Tierfarm auf seinem Grundstück besonders die deutsche Dogge in Erinnerung geblieben, mit der der nur 1,60 Meter große Wauer im Ort spazieren ging. Kirsten Graulich
Kirsten Graulich
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