
© Eva Schmid
Potsdam-Mittelmark: Kurbeln auf historischen Maschinen
Eine 72-jährige Kleinmachnowerin geht mit Schülern auf Zeitreise und bringt ihnen das Nähen bei
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Teltow - Neongelbe Schals, bunte Sportschuhe und Gespräche über die Bundestagswahl und die neuesten Smartphones: Fünf Mädchen sitzen vor historischen Nähmaschinen, kurbeln wie weiland von Hand, um die Nadel zu bewegen und unterhalten sich über sehr heutige Themen. Der Kontrast könnte nicht größer sein – und mittendrin Ingrid Schimkönig.
Die 72-jährige Frau aus Kleinmachnow hat die schweren, schwarzen Handkurbel-Nähmaschinen mit Schnörkelbemalung angeschleppt. Zweimal pro Woche bringt sie den Fünft- und Sechstklässlern der Teltower Ernst-von-Stubenrauch-Grundschule bei, wie einfach man Kissen oder Taschen nähen kann. „Die Kinder lernen hier Fähigkeiten, die ihre Mütter zum Teil nicht können“, sagt Ingrid Schimkönig. Dazu zählt sie auch Knöpfe annähen oder Strümpfe stopfen. „Leider gibt es an vielen Schulen kein Handarbeiten mehr“, so die Frau mit den hellgrauen Haaren. Und Omas, die das ihren Enkeln beibringen könnten, leben oft zu weit weg.
Das war auch bei Ingrid Schimkönig so. Vor fünf Jahren sei sie aus dem niedersächsischen Delmenhorst nach Kleinmachnow gezogen, um näher bei ihren Enkelkindern zu wohnen. Hier lebt die Familie ihres Sohns. In ihrem Umzugswagen hatte sie einen großen Webstuhl, mehrere Spinnräder, ein ganzes Dutzend historischer Nähmaschinen und Unmengen an Stoff. Ihre Enkel können mittlerweile nähen, stricken, spinnen und weben. Von ihrer Ausstattung sollten aber nicht nur sie profitieren. Das Projekt der Handarbeitsoma, die an Schulen und Kitas stricken, nähen und häkeln lehrt, war geboren.
Die alten Nähmaschinen, die Ingrid Schimkönig über die Jahre von Trödlern aufgekauft hat, sind empfindlich. Jede einzelne müsse man kennen, jede hätte ihre Macken, sagt die Frau mit den kurzen Haaren. Oft reißt der Faden oder die Mechanik hakt. Für den Handarbeitsunterricht hat Ingrid Schimkönig immer eine Ersatzmaschine dabei. Sie steht im Kofferraum ihres Wagens. „Was? Sie fahren noch Auto?“, fragt die elfjährige Emely verdutzt, als sie davon hört. Ingrid Schimkönig ist für sie mehr Oma denn Lehrerin. Autofahrende Omas seien doch normal, klären die anderen Schülerinnen Emely auf und lächeln ihrer Handarbeitsoma zu.
Normal ist für Ingrid Schimkönig auch die Reparatur ihrer über 70 Jahre alten Maschinen. „Wenn ich technisch nicht so begabt wäre, hätte ich das nie geschafft.“ Nur noch ein Laden in Berlin biete Reparaturen und Ersatzteile für derartige Nähmaschinen an. „Aber der ist so teuer, da mache ich das lieber selbst“, sagt die ehrgeizige Frau stolz, auch wenn sie sich dafür tagelang den Kopf zerbricht. Öffnet sie während des Unterrichts eine der Maschinen, um zu schauen, wo es klemmt, seien die Jungs der Handarbeitsgruppe sofort zur Stelle. „Denen macht auch das Nähen Spaß, eben wegen dieser Technik und dem Kurbeln.“
Zur Handarbeit kam die Sonderpädagogiklehrerin erst sehr spät. „Bevor ich in den Ruhestand gegangen bin, konnte ich das nicht.“ In einem Delmenhorster Wollemuseum habe sie als ehrenamtliche Museumspädagogin vor 20 Jahren angefangen, Kinder mit Wolle und Garn zu beschäftigen. „Da hab ich gemerkt, dass die Handkurbel-Nähmaschinen ideal sind für die Kleinen.“ Wenn man aufhöre zu drehen, bewege sich auch die Nadel nicht mehr weiter – ein einfaches Prinzip. Eine elektrische Nähmaschine per Pedal zu bedienen sei viel schwieriger.
Jetzt will sie aus ihrem Projekt mehr machen. Sie sucht nach weiteren Handarbeitsomas, die in Schulen oder Kitas in der Region Teltow aktiv werden. Der Bedarf ist da: „Die Eltern haben schon gefragt, ob Frau Schimkönig nicht noch mehr Handarbeitsgruppen betreuen könnte“, berichtet die Leiterin der Stubenrauch-Grundschule, Angelika Hipp.
Auch den Kindern gefällt das Angebot im Rahmen des Kunstunterrichts. Ingrid Schimkönig nimmt sie beim Nähen mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Zu fast jedem der bunten Stoffstreifen gibt es eine Geschichte. Ein blauer Stoff mit Teddybären war mal das Hemd ihres Sohnes, ein greller pinker Stoff einer Schlaghose erinnert an die 70er-Jahre. Und als Ingrid Schimkönig einen roten Stofffetzen mit kleinen weißen Blumen hochhält und sagt, dass das ihr altes Dirndl war, staunen die Schüler nur noch darüber, was ihre Handarbeitsoma schon erlebt hat.
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