Schwerpunkt Kinderarmut: Landesarmutskonferenz fordert Aktionsplan
Wohlfahrtsverbände und Politik diskutieren über Langzeitarbeitslosigkeit – und die Folgen für Kinder.
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Potsdam – Die Arbeitslosigkeit in Brandenburg hat einen historischen Tiefstand erreicht. Doch von den 96 307 Arbeitslosen sind rund 26 000 schon seit mehr als zwei Jahren ohne Beschäftigung und gelten damit als langzeitarbeitslos. Welche Möglichkeiten bestehen, um diesen Menschen eine neue Perspektive zu bieten, diskutierten am gestrigen Donnerstag Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Projektträgern auf der Landesarmutskonferenz (Lak) im Potsdam Museum.
Themenschwerpunkt der Konferenz war in diesem Jahr die Kinderarmut. „Die Gründe für Langzeitarbeitslosigkeit sind vielseitig, deshalb müssen auch die Hilfen vielseitig sein“, sagte Andreas Kaczynski, Vorstand des Landesverbandes Paritätischen gleich zu Beginn. Die Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit seien gravierend, besonders für die betroffenen Familien, für das Gesundheitssystem und die Wirtschaft. Arbeitslosigkeit mache krank, sagte er. „Und Langzeitarbeitslosigkeit setzt in den betroffenen Familien einen Teufelskreis von Verarmung in Gang.“
Marko Wilke, Leiter der Agentur für Arbeit in Bad Belzig, sagte, dass Langzeitarbeitslosigkeit in seinem Bereich kaum ein Thema sei. Er verwies aber auf die strukturellen Unterschiede in Potsdam-Mittelmark: „In den Regionen Teltow, Stahnsdorf und Kleinmachnow ist die Arbeitslosenquote noch feststellbar, aber nicht sehr hoch.“ Ein ähnliches Bild zeichne sich in Werder (Havel) ab. In den berlinfernen Regionen um Belzig und Brandenburg/Havel seien die Quoten hingegen „um ein Vielfaches“ höher. Betroffene, Arbeitgeber und Behörden müssten hier gemeinsam an einer Lösung arbeiten.
Dietrich Fischer vom Arbeitslosenverband Bildungswerk verwies auf die hohe Zahl an Bedarfsgemeinschaften im Land, die Hartz IV empfangen – im September waren es 128 513. Hier bestätige sich der Teufelskreis. Diese Zahl zeige, dass es auch Opfer durch Nähe gebe, sagte er. „Die Arbeitslosigkeit im Haushalt ist die Hauptursache für Kinderarmut, besonders Alleinerziehende sind betroffen“, sagte er. Kurzum – bei aller Freude über die niedrigen Arbeitslosenzahlen gebe es genug zu tun.
Die Landesarmutskonferenz fordert deshalb von der Landesregierung einen Aktionsplan gegen Langzeitarbeitslosigkeit. Je länger Menschen arbeitslos seien, desto schwieriger werde auch die Teilhabe am sozialen Leben. Es sei eine gesellschaftliche Verpflichtung, schwer vermittelbaren, langzeitarbeitslosen Menschen eine tragfähige persönliche Perspektive auf sinnvolle existenzsichernde Beschäftigung sowie auf soziale Teilhabe zu eröffnen, so Kaczynski. Weitere Forderungen sind eine bessere Balance zwischen Fordern und Fördern, flexible Arbeitszeitmodelle und weniger Bürokratie.
Nach einem Film, in dem Betroffene von ihren mitunter nervenaufreibenden Erlebnissen mit Jobcentern berichten, folgte eine Diskussionsrunde. Antje Kellner, Teamleiterin Integration und Beratung im Jobcenter Potsdam-Mittelmark, stellte das Programm „Amiga“ vor. Gesundheitliche Einschränkungen seien häufig der Grund, warum Arbeitslosen der Wiedereintritt ins Berufsleben so schwer falle. Das Jobcenter Potsdam-Mittelmark zieht beim „Amiga“-Programm schon seit vielen Jahren erfolgreich Sozialmediziner und Psychologen in die Beratung ein.
Ohnehin vertraten viele Teilnehmer der Konferenz die Meinung, dass Jobcenter und Arbeitsmarkt künftig individueller auf die Bedürfnisse der Arbeitslosen eingehen müssten. Problematisch erweise sich in der Praxis jedoch das schnelle Auslaufen von Integrationsmaßnahmen. Almuth Hartwig-Tiedt (Linke), Staatssekretärin im Familienministerium, stellte in diesem Zusammenhang infrage, ob das derzeitige SGB II-System für Langzeiterwerbslose noch zeitgemäß sei. Die meisten Änderungsanträge, die das Ministerium erreichten, beinhalteten Vorschläge zur Verbesserung von Integrationsmaßnahmen.
Auf der Konferenz stellten sich auch Initiativen und Vereine vor, wie beispielsweise die Organisation „Stromsparcheck Caritas“, die Betroffenen kostenlos Tipps geben, wie sie ihre Stromrechnungen niedrig halten können.
Der eigentliche Schwerpunkt der Tagung, die Kinderarmut, kam allerdings in der Diskussionsrunde viel zu kurz. Dafür schweiften die Redner oftmals ab – von den Entwicklungen auf dem Leiharbeitsmarkt bis hin zur Forderung, Hartz IV abzuschaffen. Andreas Bernig etwa, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Linkenfraktion im Landtag, schlug als zentrales Mittel im Kampf gegen Langzeitarbeitslosigkeit öffentlich geförderte Beschäftigung vor. Kaczynski sagte nach fast zwei Stunden Diskussion treffend: „Wir haben keine Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem."
Anne-Kathrin Fischer
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