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KulTOUR: „Lebe wohl, mein Russland!“ Kleine Bühne Michendorf spielt Tschechow

Michendorf - „Tschechow ist schwer, sauschwer!“ So seufzt jeder ehrliche Regisseur den eigenen Intentionen hinterher.

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Michendorf - „Tschechow ist schwer, sauschwer!“ So seufzt jeder ehrliche Regisseur den eigenen Intentionen hinterher. Die Zwischentöne, die Dramaturgie, der russische Ton! Letztlich heißt das: Schwer, diesem Autor in die Tiefen der Seele, die Abgründe seines Humors zu folgen. Wer es wagt, wird von der Bühne schnell belehrt, was geht, und was nicht.

Seit dem vorigen Jahr ging die Kleine Bühne Michendorf unter Federführung von Christine Hofer trotz alledem daran, Anton Tschechows (1860–1904) beliebte Einakter „Der Bär“ und „Der Heiratsantrag“ zu inszenieren. Nicht ohne öffentlichen und medialen Erfolg. Am Freitag hatte der letzte Teil der geplanten Trilogie im Haus „Zum Apfelbaum“ umjubelte Premiere: „Die Hochzeit“. Alle drei Texte sind vor 1890 entstanden, keiner ist länger als 20 Seiten.

Und schon ist man ganz in medias res, hatte man doch stets genügend Zutat für eine abendfüllende Inszenierung gefunden, witzige Filmbeiträge etwa im extra gebauten Bilderrahmen. Auch bei der „Hochzeit“ war die alerte Truppe wieder im filmischen Außeneinsatz; man holt die Hochzeitstorte vom Bäcker gegenüber, ältere Chordamen bereiten in der Küche das Mahl, dabei Katjuscha besingend. Dann kam das lange Hochzeitsauto, doch oh Schreck, die Braut, keine mehr ganz junge (Manuela Heyn), will „mini“ heiraten. Das bringt den braven Brautzug in Rage – fußlang wird geheiratet, und basta! Ende vom Vorspann. Auf der Vorbühne (Dirk Seesemann) dann ein langer Tisch für das jüngst getraute Paar, und die lieben Gäste.

Doch harmonisch geht hier gar nichts zu, der Bräutigam (Marcus Hagen Heinemann) streitet mit der Brautmutter (Marlies Hanowski) über die Mitgift, Ortrud Meyhöfer spielt sich und dem Publikum eine singende Diva vor, Jatj (Felix Zühlke) himmelt sie an, während eine Griechin (Teresa Vanselov) jede Frage mit „In Griechenland gibt es alles!“ beantwortet. Sogar Merkel-Krisen!

Aber darum geht es gar nicht. Die Brautmutter hat Andrej, Freund der Familie und diensthabendes Schlitzohr (Klaus-Dieter Becker), beauftragt, einen echten General (Hans-Jochen Röhrig) aufzutreiben, damit das Fest dieser Kleinbürgerei gesellschaftlich aufgepeppt wird. Inzwischen gibt ein Alleinunterhalter (Holger Werfel) in Sergeant-Pepper-Uniform Tusch’s, und mehr. Als der HOT-Schauspieler dann feierlich hereingeleitet wird, gerät das schrille Fest völlig aus den Fugen. Doch weil „die neue Zeit“ bereits an die Tür pocht, singt man erztraurig „Lebe wohl, mein Russland!“ – das ist echter Tschechow!

Natürlich kommt auch im dritten Teil die lockere Handschrift der Regie ins Spiel. Es gibt Musik und Tanzfolklore, weitere Filmbeiträge, Gewusel und Getriesel im russischen Kostüm. Zu lange braucht die Inszenierung, um sich kurz zu erklären: Was wird da eigentlich gespielt, wer sind die Protagonisten, wer gehört in die zweite Reihe? Das Burleske deckt den Tschechow oftmals zu. Wo ist der Fokus, das Zentrum dieser Turbulenzen? Dafür ist der Spielfluss weitgehend rasant, Einfälle fast schon zu viele, der Einsatz des Ensembles bis in den Zuschauerraum total. Manches „zieht sich“.

Man wollte „Flagge“ zeigen, man hat sie gezeigt. Freilich gibt es zu viele Äußerlichkeiten, Spiel-Schnickschnack. Ein Publikum mag das, und doch: Ist bei Tschechow nicht „außen“ stets innen? Lachen und Weinen sind eines. Das eben macht diesen Autor so schwer. Gerold Paul

Nächste Vorstellungen im „Apfelbaum“: 11. und 12. März um 19.30 Uhr sowie am ersten April-Wochenende

Gerold Paul

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