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Potsdam-Mittelmark: Lebensmittel für einen Euro pro Tüte
Beelitzer Tafel künftig auch mit Haustür-Service für bedürftige Senioren und Behinderte
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Beelitz – So können Statistiken täuschen: Laut mittelmärkischem Jobcenter ist die Zahl der Hartz-IV-Empfänger im Landkreis zwar rapide gesunken – um 5000 und damit um ein gutes Viertel allein in den vergangenen fünf Jahren. Der Beelitzer Verein „Kindersorgen-Sorgenkinder“ merkt davon aber nichts. Nach wie vor stehen die Leute Schlange, wenn die zumeist ehrenamtlichen Helfer unter der Woche Lebensmittel verteilen oder wenn vor allem zum Jahreszeitenwechsel die Kleiderkammer ihre Türen öffnet. 335 Familien aus der Stadt und den Nachbargemeinden sind bei der „Beelitzer Tafel“ registriert, die der Verein dreimal pro Woche öffnet, um von den Supermärkten gespendetes Obst, Gemüse und Brot für einen symbolischen Euro pro Einkaufstüte auszugeben.
Der Bedarf an solchen Hilfen ist nach wie vor hoch, schätzt Vereinschefin Gabriela Schrader. Zwar würden immer wieder Tafel-Kunden einen Job bekommen und sich damit von der Tafel verabschieden, dafür würden andere wiederum in die Armut abrutschen. Für sie hat der Sorgenkinder-Verein jetzt das Angebot seiner „Tafel“ erweitert: Seit April gibt es täglich warmes Mittagessen in der Ausgabestelle in der Nürnbergstraße 37. Täglich gehen 30 bis 40 Portionen an Bedürftige. Ab kommender Woche sollen nun Lebensmittel auch bis an die Haustür geliefert werden. Zwei Helfer hätten sich bereits für diesen Service angemeldet, Schrader rechnet damit, dass es schon in der ersten Woche zehn werden könnten.
Das Angebot richtet sich vor allem an Senioren oder Menschen mit Behinderung, die aus den Dörfern nicht oder nur schlecht anreisen können, um sich ihre Lebensmitteltüten in Beelitz abzuholen. Die bekommen die Tüte dann auch nicht einfach vor die Tür gestellt – ein bisschen Zeit für ein Gespräch soll auch noch drin sein. Auf keinen Fall will man eine Konkurrenz zur Wirtschaft sein: Jene, die Essen auf Rädern geliefert bekommen oder in der Tagespflege Mittag erhalten, werden von der Tafel nicht beliefert.
Konkreter Anlass für den neuen Service ist eine vierstellige Spende einer Beelitzer Einwohnerin gewesen, die darum gebeten hatte, dass der Verein mit dem Geld etwas für Senioren tut. So läuft es seit Jahren: Spender geben zweckgebundene Beträge, mit dem der Verein dann fast zwangsläufig sein Angebot erweitert. Der nur neunköpfige Verein, der auf fünf sogenannte Bürgerarbeiter – also Langzeitarbeitslose mit einer öffentlich finanzierten Teilzeitstelle – und auf noch mehr ehrenamtliche Helfer setzen kann, stellt sich immer wieder neuen Herausforderungen.
Gegründet hatten Schrader und ihre Mitstreiter die „Kindersorgen-Sorgenkinder“ ursprünglich mit einem ganz anderen Ziel: Es ging darum, dem Nachwuchs aus armen oder schwierigen Verhältnissen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung anzubieten. Doch dann musste man erkennen, dass manche Schützlinge immer wieder einfach Hunger hatten. „So etwas habe ich mir nie vorstellen können – aber das gab es wirklich“, sagt Schrader. Und so war die Idee der Tafel geboren. Dann mussten die Ehrenamtler feststellen, dass manche Kinder im Winter nicht einmal eine Jacke haben – und so kam die Kleiderkammer dazu. Mittlerweile übernimmt der Verein auch Möbel aus Wohnungsauflösungen oder Spenden, und hat damit schon so manches Kinderzimmer in der Stadt neu eingerichtet. Und im Vereinssitz, dem um 1909 errichteten früheren Elektrizitätswerk in der Nürnbergstraße, sind im dritten Stock jetzt sogar Notunterkünfte für Obdachlose eingerichtet worden. Thomas Lähns
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