Potsdam-Mittelmark: Lehrstellen-Bewerber oft „unter aller Kanone“
Bildungsniveau vieler Ausbildungssuchender in der Region ist unzureichend / Bewerbungen spotten oft jeder Beschreibung
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Bildungsniveau vieler Ausbildungssuchender in der Region ist unzureichend / Bewerbungen spotten oft jeder Beschreibung Von Michael Kaczmarek Potsdam-Mittelmark. Dass etwas faul ist im Bildungsstaate Deutschland, spiegelt sich in der Pisa-Studie ebenso wider wie in der erst kürzlich veröffentlichten Studie von internationalen OECD-Experten: Die deutschen Schulstrukturen sind eingerostet – neue und einheitliche Bildungsstandards in allen Bundesländern sollen deshalb in Zukunft wieder mehr Bewegung für den Geist bringen. Von der derzeitigen Bildungsmisere sind derweil nicht nur die ausgebremsten Schüler und Lehrer betroffen, auch Unternehmer leiden darunter. Wie schwierig die Situation im Land Brandenburg und auch in Potsdam-Mittelmark tatsächlich ist, bekommen die Handwerksbetriebe immer stärker zu spüren. So auch Klaus Windeck, der in diesem Jahr wieder fünf neue Lehrlinge eingestellt hat. Dass ihm das nicht leicht fiel, liegt dabei nicht an der wirtschaftlichen Lage seines Betriebs „Metallbau Windeck“ in Rietz, sondern an den Bewerbern selbst, erzählt der Unternehmer. „Vor kurzen flatterte bei mir eine Bewerbung auf dem Tisch, die aus dem Zettel vom Arbeitsamt, einem Foto, einem Lebenslauf und dem Zeugnis bestand“, sagt Windeck, seines Zeichens Präsident der Handwerkskammer Potsdam. Es sei noch nicht einmal die Anschrift des Bewerbers angegeben gewesen, geschweige denn wurde ein Anschreiben beigelegt. „So konnte ich die Zettel noch nicht einmal zurückschicken.“ Und das ist kein Einzelfall. 110 Bewerbungen sind für diese Ausbildungsperiode bei Windeck eingegangen. Die Hälfte davon fiel sofort wieder raus. „Ich verstehe nicht, wieso sich manche bei mir um eine Ausbildung als Sanitär- und Heizungsinstallateur bewerben, wenn ich doch nur Metallbauer, Technische Zeichner und Bürokauffrauen ausbilde“, wundert sich Windeck. Das zeige schon die Uniformiertheit und das Desinteresse der Bewerber. „Und auch wer nur 4er und 5er auf seinem Zeugnis vorweist, hat bei mir schlechte Karten.“ Windeck ist mit seiner Einschätzung nicht allein. Handwerksunternehmer wie Tischlermeister Matthias John sind über die katastrophalen Ausbildungsvoraussetzungen der Bewerber entsetzt: „Die meisten können nur stockend lesen, kaum ein Wort fehlerfrei schreiben und von Rechnen ganz zu schweigen“, sagt der Potsdamer Innungsobermeister. Es sei für die Meister sehr frustrierend, Zeit damit zu vergeuden, stapelweise Bewerbungen durchzusehen, um letztendlich wenige Kandidaten mit Mindestvoraussetzungen zu finden. Zusammen mit seinen Kollegen hofft er verzweifelt, dass sich die Bildungssituation zum Besseren ändern werde. „Wie leben in einer Spaßgesellschaft, die keine Zeit mehr für persönliche Anstrengungen lässt“, meint auch Stefan Körber vom Brandenburgischen Landesinnungsverband des Tischlerhandwerks. Zusammen mit John vertritt er die Ansicht, dass die Ursachen für die jetzige Bildungsmisere vor allem in dem „Streichelunterricht“ der Wendejahre liegen. „Die Jugendlichen haben keinen Druck gespürt, keinen Ehrgeiz nötig gehabt und dann auch keine schulischen Kenntnisse erworben.“ Diese Problemfälle würden nun die Ausbildungsbetriebe belasten. Verzweifelt hoffen sie auf die Politik, die endlich die Konsequenzen aus den Pisa-Studien ziehen möge. Dem jährlich wiederkehrenden Ärgernis unmotivierter Bewerbungen will Bäckermeister Tobias Exner aus Beelitz nun in Eigeninitiative vorbeugen und bereitet gerade ein Anforderungsprofil für zukünftige Bewerber vor, das in den Abschlussklassen in Gesamtschulen und Gymnasien über den Bäckerberuf informieren soll. Darin wird der Notendurchschnitt von 3,0 ebenso betont wie Grundlagenkenntnisse in den Naturwissenschaften Biologie, Chemie, Physik und Mathematik. Dazu komme die Arbeitseinstellung und die persönliche Seite. „Man muss diesen Job einfach mögen, sonst wird es nichts“, sagt Exner. Mit Blindbewerbungen könne er einfach nichts anfangen. Für dieses Jahr hatte Exner acht Bewerbungen, davon musste er fünf sofort wieder zurückschicken. „Ich habe mich dann für einen Lehrling entschieden, aber der ist mehrfach nicht zur Arbeit gekommen, so dass ich ihn wieder entlassen musste“, sagt der Juniorchef der Bäckerei Exner. Von seiner Initiative erhoffe er sich, dass zukünftig nur noch qualifizierte Bewerbungen auf seinen Tisch kommen. Dieses Ziel hat auch Paul Rapp vor Augen, wenn er mit den Jugendlichen über deren Berufsvorstellungen und Bewerbungen spricht. „Der Wunsch der Jugendlichen und deren schulische Voraussetzungen passen häufig nicht zusammen“, erklärt der Teamleiter der Berufsberatung im Arbeitsamt Potsdam. Jugendliche aus den ländlichen Gegenden zeigten zudem weniger Mobilität, wenn es darum geht, Ausbildungsstätten außerhalb ihres Wohnortes anzunehmen. „Es ist nun mal sehr schwierig, einen tollen Ausbildungsplatz mit erstklassiger Vergütung zu finden, der zudem auch noch vor der Haustür angeboten wird“, sagt Rapp. Von den Betrieben höre er zudem oft, dass die Bewerber teils „unter aller Kanone“ seien. Dabei gebe es genügend Möglichkeiten, sich in der Schule, im Internet, in Büchern oder in vom Arbeitsamt angebotenen Seminaren über das richtige bewerben zu informieren. „Ich kann mir nicht erklären, warum manche Jugendliche so blauäugig sind“, sagt Rapp. Und forscht nach Ursachen: „Vielleicht wollen sie nicht wirklich genommen werden.“
Michael Kaczmarek
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