Potsdam-Mittelmark: Lesen, schauen und Tee trinken
Eine kleine Bar in der Teltower Altstadt hat sich heimlich zum Salon entwickelt, in dem die Reize der alten Ackerbürgerstadt genossen werden
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Eine kleine Bar in der Teltower Altstadt hat sich heimlich zum Salon entwickelt, in dem die Reize der alten Ackerbürgerstadt genossen werden Teltow. „Entwickelt sich denn hier gar nichts?", wird Marion Storm von Kunden und Spaziergängern oft gefragt. Und fast immer bezieht sich die Frage auf die Teltower Altstadt. Morbide Häuser, teilweise sind die Fenster mit Pappe zugenagelt, erwecken den Eindruck, als hätte man sie vergessen. Dabei steht in manchen Reiseführern, dass dieses historische Ensemble eines der wenigen ist, das noch als unveränderte Ackerbürgerstadt besteht. Doch so wortwörtlich hatten sich die meisten Touristen das nicht vorgestellt. „Da kann man doch was draus machen", wundern sich nicht wenige, die in Marion Storms Tee- und Kaffeebar am Zehlendorfer Eck eine Verschnaufpause einlegen. Viele sind Berliner, die am Wochenende in die nahe Umgebung radeln, weshalb das „TeeArt“ auch sonntags öffnet. Aber auch Teltower kommen, meist Stammkunden, die nicht nur Tee kaufen, sondern die köstlichen Teezubereitungen genießen wollen, nebst Selbstgebackenem. Es gibt zudem eine Menge zu sehen im Tee-Fachgeschäft, seit kurzem auch wieder eine Ausstellung, über die sich Marion Storm besonders freut: „Denn nun kann ich es allen zeigen, wie schön Teltow ist“. Die Anregung dazu kam von der Teltower Fotografin Renate Birkenstaedt, die mit der Kamera die schönsten Seiten der Stadt aufspürte. „Immer wieder kommen Leute mit höchst unterschiedlicher Passion zu mir und wir haben anregende Gespräche“, erzählt Marion Storm und war überzeugt, das würde andere auch interessieren. So reifte die Idee vom „Teltower Salon“, der anfangs noch als Geheimtipp galt. Nachdem einmal fast 90 Gäste kamen, bittet sie um Voranmeldungen für ihre Veranstaltungsreihe. Ein Podium erhielten bei ihr bereits Kriminalbeamte, gestandene Schriftsteller und junge Autoren. Unlängst war nun auch Renate Birkenstaedt Salongast, um über ihre Sicht auf die Stadt zu erzählen, in der sie seit 1965 lebt. Ihre Fotos zeigen Details, die im Alltag oft übersehen werden, wie die alte Tür im Eckhaus am Ruhlsdorfer Platz, dem die Teltower einst den Spitznamen „Bunte Kuh" gaben. Meist unbeachtet bleibt auch die alte Mühle an der Mahlower Straße, die noch bis 1975 mit einem elektrischen Mahlwerk im Dienst war, die Flügel hatte 1930 ein Sturm beschädigt. Fotos sind für die Fotografin vor allem Zeitdokumente, denn vieles verschwinde unmerklich, erinnerte sie im Gespräch an die alte Tankstelle am Ruhlsdorfer Platz. Sie weiß auch noch, wie belebt die Altstadt vor der Wende war, weil dort viele einkaufen gingen. Einige Gäste erinnerten sich auch noch an den winzigen Obst- und Blumenladen, der neben der roten Backsteinmauer in der Breiten Straße stand. „Und zum Schwarzen Adler gingen unsere Kinder tanzen", erzählt die Fotografin. An den neuen Bauten gefällt ihr besonders das Reha-Zentrum in der Badstraße, weil dieses Gebäude aussehe, als stünde es schon immer dort. Geradezu ins Schwärmen geriet sie vor Fotos von der Kanalaue. Denn wer hätte nach der Grenzöffnung geahnt, dass in diese verbotene Zone, in der weder Baum noch Strauch wachsen durften, soviel Natur zurückkehrt. Den schwarzen Vögeln, die keine Grenzen kannten, hat sie oft nachgeschaut, wenn die über den Kanal segelten. Auch Graureiher flogen über die Grenze und eine Zehlendorferin erinnerte sich: „Die kamen immer rüber geflogen, um sich aus unseren Gartenteichen die Goldfische zu holen". Der Fotografin haben es aber auch die alten Villen in Seehof angetan. Ihre Kinder kauften sich vor einiger Zeit ein Haus in diesem Ortsteil. Bei der Grundstückseintragung erfuhren sie, dass sie nun auch die Fischereirechte für den Teltower See erworben hatten, sozusagen gratis. Das hat sie amüsiert, weil es den See seit Bau des Teltowkanals nicht mehr gibt. Ein Lieblingsmotiv hat die Fotografin im Mühlenviertel gefunden, zu allen Jahreszeiten fotografiert sie gern den Teich, „weil es dort so ein irres Licht gibt". Die Gäste des „Teltower Salons“ staunten über so viel märkische Idylle und Marion Storm ließ noch ein Foto von Tisch zu Tisch reichen und fragte, ob jemand sich an dieses Haus erinnern könne. Die Fassade mit bröckelndem Putz und kaputten Fenstern glaubten die meisten zu kennen, aber jeder ordnete das Haus einer anderen Straße zu. Schmunzelnd erklärte Marion Storm das Foto sei vor 25 Jahren in ihrer alten Heimatstadt Lübeck entstanden. Damals habe die Innenstadt sehr der Teltower Altstadt geglichen, berichtete sie auch von Bausünden, bei denen kleinteilige Fenster rausgerissen wurden. „Zum Glück“, sagt sie, „griff das Denkmalamt ein, sonst hätte Lübeck heute kein Gesicht mehr." Auch deshalb will sie für die Teltower Altstadt optimistisch bleiben: „Weil es Geduld und Zeit braucht, damit etwas entstehen kann". K. Graulich
K. Graulich
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