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KulTOUR: „Mann, ist der hässlich!“

Liebe, Lust und Leidenschaft. Paganini-Permiere im Werderaner Comédie Soleil

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Von Gerold Paul

Werder (Havel) - „Das Leben Niccolo Paganinis war Liebe, Lust und Leidenschaft. In diese bizarre Welt wollen wir Sie entführen“, heißt es im Programmzettel der neuen Inszenierung in der Comédie Soleil. Neu schon, aber die jüngste ist sie nicht, denn dieses „Schauspiel“ von Impresario Michael Klemm hat eine eher traurige Vorgeschichte. Als man vor wenigen Jahren in der Potsdamer Feuerbachstraße nicht mehr sein durfte und in Werder noch nicht sein konnte, diente dieses lebenspralle, doch tragische Stück in der „Manege“ am Neuen Markt als Zubrot für kulinarisch orientierte Bildungsbürger. Nun aber, versichert Klemm, werde man „das ganze Stück sehen“, und so war es dann am Wochenende auch.

Unter zauberhaft modernen Klängen erschien der langsträhnige Maestro Paganini in einem alten Bratenrock wie aus dem Nebel, erklomm die rote Treppe, um sich dann mit einer Probe seines Könnens zu legitimieren. „Mann, ist der hässlich!“ polterte es konterkarierend hinter den Kulissen. Keine Reaktion, das Schicksal nahm seinen Lauf. Was Protagonist Michael Klemm – oft larmoyant und stelzig – als Spiegelbild etlicher Gestalten spielte, hatte der Autor Michael Klemm wie ein Stationenstück geschrieben. In kurzen, meist nur skizzierten Szenen erfährt man von einer liebevollen Mutter (Irmi Gillitzer) und dem überambitionierten Vater, welcher den Knaben zum Genie machen will. Paganini flieht mit sechzehn nach Lucca, zu den schönen Damen, die in Klemms Inszenierung sehr stiefmütterlich behandelt wurden.

Ein Mann zwischen Genie und Wahnsinn wie nach dem Bilderbuch: Von den einen bejubelt, von den anderen beneidet, aus Übermaß an Lust mit der französischen Krankheit angesteckt, singt die gläubige Mutter dem Lebensmüden auf eben denselben Stufen ein Todeslied. Wundersam folgt Auferstehung, der nunmehr perückenlose Held verkündet lakonisch, dass diese Geschichte eigentlich „ganz anders“ abgelaufen sei und Gott dabei seine Hand im Spiel habe. Hübsche Idee, Theater darf das – und dem zahlreich erschienen Premierenpublikum gefiel es.

Aber hatte man es sich nicht etwas zu leicht gemacht mit dieser ganz passablen Szenenfolge, Schauspiel genannt? Dem „Teufelsgeiger“ fehlte es an existentieller Tiefe, zumal die Inszenierung zwar den Künstler betonte, dafür den Spieler und Geldspekulanten völlig außen vor ließ. Es wurden Situationen gegeben, kaum aber dramatische Situationen von einem, der alle Frauen begehrte und nur die Musik wirklich liebte. Mehrfachbesetzungen führten zu einer guten Ensemble-Leistung, nicht aber zu individuellen Profilen, ausgenommen Christian Hiemer als gestaltungswilliger Reisebegleiter des Meisters in Deutschland, was Anlass zu manchem Seitenhieb wider seine kalten Landsleute bot.

Warum nur hat man zum Beispiel den „Mittelmäßigen“ (David Segen) nicht zum Antagonisten Paganinis aufgebaut? Eine verschenkter Part. Sonst spielten Roman Gegenbauer, Horst Wüst, Nadja Winter und Julita Witt die Nebenrollen wirklich als Nebenrollen. Besonders schön und intensiv war wieder einmal die Atmosphäre unterm Theaterhimmel, viel Musik (warum so wenig vom Maestro?) und eine heitere, sehr spielerische Grundstimmung mit einem Hauch an Ironie. Ausdrücklich: Dieser „Paganini“ ist gar nicht so übel geraten, nur bringt er sich ob seines szenisch-theatralischen Minimalismus um manch künstlerische Chance. Aber vielleicht sind Liebe, Lust und Leidenschaft eben so.

Gerold Paul

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