
© Thomas Lähns
Von Thomas Lähns: Männer für die Kitas
Tilo Fuhrmann arbeitet als Erzieher in Beelitz – bisher ist der 23-Jährige noch eine Ausnahme
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Beelitz - Die sechs Jungs haben schon ordentlich gebuddelt: Bis zu den Schultern stehen sie in einer Grube im Sandkasten. Mit ihren Plastikschippen häufeln sie einen Wall an, über den man gerade noch so herüberspähen kann. „Wir bauen eine Festung“, erklärt einer der Knirpse. Mittendrin ist Tilo Fuhrmann. Dem 23-Jährigen reicht die Wehr zwar nur bis zu den Knien, aber auch er kann sich gut in die Rolle des Ritters hineinversetzen. Eigentlich hat er Feierabend und wollte sich nur von seinen Schützlingen verabschieden, aber nun hat er selbst eine Schippe in der Hand. Als Erzieher ist Fuhrmann für die „Großen“ in der Beelitzer Kita Kinderland verantwortlich. Bei ihm dürfen Jungs auch Jungs sein, wie er sagt. Das heißt: Viel Bewegung, ausgelassenes Toben – und sie müssen nicht immer darauf achten, dass die Sachen sauber bleiben.
Für Fuhrmann selbst ist seine Berufswahl nichts Ungewöhnliches: „Ich arbeite gern mit Menschen, und hier kann ich meine Interessen einbringen“, sagt er. Dabei leistet der gebbürtige Beelitzer Pionierarbeit, denn männliche Erzieher sind in Tagesstätten die absolute Ausnahme. Laut Angaben der Berliner Koordinationsstelle „Männer in Kitas“ liegt die Quote von männlichem Personal in mittelmärkischen Tagesstätten derzeit bei gerade mal 1,5 Prozent – einschließlich Praktikanten, Zivis und ABM-Kräften. Das soll sich demnächst ändern: Das Bundesfamilienministerium will im kommenden Jahr eine Initiative starten, mit der sich Männer in einer zweijährigen Ausbildung zum Erzieher umschulen lassen können. Der Grundgedanke: Jungs brauchen männliche Vorbilder. Gerade Kinder von Alleinerziehenden würden oft erst nach der Grundschule auf eine männliche Bezugsperson treffen, was „entwicklungspsychologisch problematisch“ sei, wie Ministerin Kristina Schröder (CDU) vor kurzem erklärte.
Tilo Fuhrmann hat eine fünfjährige Ausbildung absolviert: Erst zum Sozialassistenten, danach zum Erzieher. Ursprünglich wollte er Koch werden, doch sämtliche Bewerbungen um eine Lehrstelle blieben erfolglos. Ein Wink des Schicksals? Im „Kinderland“ in der Beelitzer Ringstraße – mit 300 Plätzen die größte Kita der Stadt – hat der junge Mann seine Berufung gefunden. „Spielen ist natürlich nicht alles“, sagt er über seinen Beruf. Einen großen Anteil nimmt die Portfolio-Arbeit ein: Jedes Kind wird in seiner Entwicklung beobachtet, die Lerngeschichte wird notiert. „Auf Grundlage der Interessen jedes Einzelnen werden dann die Aktivitäten geplant“, erläutert Fuhrmann. Ging es früher darum, den Kindern auf Biegen und Brechen beizubringen, was sie noch nicht können, gilt es heute, Neigungen und Interessen zu fördern. „Es läuft viel über die Gefühlsebene ab, und es ist eine Menge Psychologie dabei“, sagt der Erzieher. So sollen die Kinder selbst Lösungen für knifflige Probleme finden, sich eigene Ziele setzen.
„Man muss sich gut in Kinder hineinversetzen und mit ihnen arbeiten können“, beschreibt der 23-Jährige die Herausforderungen seines Jobs. Zudem brauche man ein gutes Allgemeinwissen, denn unzählige Fragen stürmen auf einen Erzieher ein. Und es spielt auch die positive Ausstrahlung eine Rolle. Über die verfügt Tilo Fuhrmann zweifelsohne: Immer sieht man ihn lächeln – was auch mit der Freude an seiner Arbeit zusammenhängt. „Das Schönste ist es, wenn die Kinder abends sagen: Heute hat es Spaß gemacht.“
Fuhrmann ist selbst in der Kita Kinderland groß geworden, einige seiner heutigen Kolleginnen kennt er noch von früher. „Hier hat sich aber auch Einiges verändert seit damals“, sagt er. Auf dem weitläufigen Außengelände gibt es jede Menge Spielgeräte, einen Teich mit Goldfischen und sogar einen Pool, in dem die Kinder im Sommer planschen können. Drinnen sind die braunen Fliesen hellen Fußböden gewichen und auch sonst entspricht die Ausstattung modernsten Standards. Seit dem Sommer ist Tilo Fuhrmann hier im Einsatz, hat zuvor aber schon Praktika im „Kinderland“ absolviert. Für die Beelitzer Stadtverwaltung lag es deshalb nahe, ihn auszubilden und zu übernehmen. In Anbetracht steigender Geburtenzahlen muss auch in Zukunft genügend Personal in den kommunalen Kitas zur Verfügung stehen. Dass mit Fuhrmann nun sogar noch ein „Kita-Onkel“ in Beelitz arbeitet, habe obendrein einen positiven Effekt: „Er kann kompensieren, was die Kolleginnen vielleicht nicht leisten können“, so Dörte Kiesel aus dem Hauptamt des Rathauses. Wer zum Beispiel könnte sonst auf Bäume klettern?
„Meine Freunde haben gleich gesagt: Für Dich ist es genau der richtige Beruf“, berichtet Tilo Fuhrmann. Und sie sollen Recht behalten: Auf dem Hof der Kita Kinderland scharen sich die Jungs wie Bienen um ihn. Mittlerweile sind sie aus ihrer Festung herausgeklettert und haben einen Fußball aufgetrieben. Ein kurzes Match muss noch drin sein, bevor er endlich Feierabend machen darf.
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