Aus dem GERICHTSSAAL: Massage mit Wohlfühlfaktor Null
26-Jährige glaubte sich sexuell belästigt
Stand:
Werder (Havel) – Kratzer am Oberarm, Schamgefühle und Angst – so hatte sich Julia J.* (26) ihre Ganzkörpermassage nicht vorgestellt. Die Werderanerin buchte im November vorigen Jahres in einem Hotel ihrer Stadt einen Wellnesstag. Dem Masseur erklärte sie ganz genau, welche Stellen er beim Durchkneten ihres Körpers auslassen solle. Doch der Mann habe sich nicht daran gehalten, während der Behandlung ihres Rückens den Stringtanga Stück für Stück hinuntergeschoben, das Gesäß einbezogen, sie anschließend im Genitalbereich berührt. Julia J. traute sich nicht, etwas zu sagen, erstattete allerdings wenig später Anzeige bei der Polizei.
Jetzt saß der 31-jährige Masseur wegen Beleidigung und fahrlässiger Körperverletzung auf der Anklagebank. Über seinen Anwalt ließ er erklären, „die Taten seien so nicht begangen worden“. Er habe massiert, wie er immer massiert. Hätte er Julia J. wie beschrieben angefasst, wäre sie bestimmt aufgestanden und gegangen. Zudem hätte sie die Rechnung an der Rezeption wohl nicht anstandslos bezahlt.
„Ich habe der Rezeptionistin erzählt, dass mich der Masseur ohne meine Einwilligung am Po massiert hat. Aber sie hat gesagt, ich sei eine attraktive Frau. Da könne das schon mal vorkommen“, erzählt Julia J. im Zeugenstand. „Wegen der Kratzer, die ich erst später entdeckte, hat sie mir für meinen nächsten Besuch einen kostenlosen Cocktail angeboten. Ich hatte das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Aber ich wollte keinen Aufstand machen, da hinter mir noch andere Gäste warteten.“ Statt – wie erhofft – auf der Massageliege Erholung und Entspannung zu finden, habe sie die Erinnerung an eine Fast-Vergewaltigung in der Vergangenheit wieder eingeholt.
„Es gab noch nie derartige Beschwerden. Im Gegenteil, die Gäste haben erklärt, wie toll die Massage war“, versichert Manuela M.* (28) vor Gericht. Die im selben Hotel angestellte Kosmetikerin holte Julia J. zu einer weiteren Wellnessbehandlung ab. „Sie hat mich gefragt, ob es normal ist, dass man bei einer Massage gekratzt wird. Ich habe geantwortet, das kann aus Versehen schon mal vorkommen“, so die Zeugin. In der Tat habe die junge Frau rote Striemen im Schulterbereich gehabt. „Richtige Kratzer waren das aber nicht. Der Masseur war nach dem Vorfall sehr beunruhigt. Er konnte sich nicht erklären, warum die Frau so etwas behauptet“, berichtet die Kosmetikerin.
„Hätten Sie gleich kundgetan, dass Ihnen die Massage unangenehm ist, säßen wir heute nicht hier“, stellt Amtsrichter Thomas Lange klar. „Kann es sein, dass Sie Ihre unguten Erinnerungen auf den Masseur projizieren?“ Julia J. schüttelt den Kopf. „Ich wollte ja gerade loslassen und mich entspannen. Stattdessen war ich stocksteif und wusste nicht, was noch passiert.“
„Zumindest die Blessur im Schulterbereich ist unstreitig“, gibt der Staatsanwalt zu bedenken. „Sie liegt aber im unteren Bereich.“ Er regt an, das Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen. Amtsrichter Thomas Lange stimmt zu. Alle anfallenden Kosten übernimmt die Staatskasse. (*Namen geändert.) Hoga
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