Potsdam-Mittelmark: Mehr als nur ein Tier mit Nummer
Agro Saarmund begeht 20-jähriges Jubiläum. Worte wie „Massentierhaltung“ hört man hier nicht gern
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Nuthetal - Den schwarz gemusterten Jungbullen hat Klaus Scheel mit der Flasche großgezogen. Weil die Mutterkuh nicht genug Milch gab, musste er selbst ran. Und so kommt das Tier gleich angetrabt, als sich der Stallmeister ans Gatter stellt, und lässt sich von ihm die Schnauze tätscheln. Einen Namen hat der Bulle nicht, das wäre wohl etwas zu weit gegangen. Aber trotzdem ist dem Mitarbeiter der Agro Saarmund das Tier mit der Ohrmarkennummer DE 66-293 ans Herz gewachsen. „Wenn der mal weg muss, nehm’ ich vorher Urlaub“, sagt er.
Die unzähligen Krisen, die immer wieder die Landwirtschaft erschüttern, machen sich hier in den Ställen am Rande Fresdorfs auf den ersten Blick kaum bemerkbar. Man ist es gewohnt, weiter zu arbeiten – egal was die Zukunft bringt. Die Agro Saarmund hat seit ihrer Gründung aus der örtlichen LPG vor 20 Jahren einige Klippen zu umschiffen gehabt: Von der Öffnung der Märkte über den Austritt der früheren Genossenschaftler bis hin zur BSE-Krise und den Veränderungen von Gesetzen und Richtlinien. Jetzt steht eine Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik an: Ab 2013 werden die Fördermittel neu verteilt – nicht mehr unter 12, sondern unter 27 Mitgliedsstaaten. „Ohne Subventionen geht es in Ostdeutschland aber nicht“, sagt der Geschäftsführer der Genossenschaft Uwe Naujoks.
Das liegt unter anderem an der minderen Bodenqualität – und am harten Preiskampf in den Supermarktregalen. Immerhin: Mit der Direktvermarktung von Fleisch und dem Verkauf von Heu und Stroh an die Pferdehöfe der Region hat sich die Agro Saarmund zwei kräftige Standbeine zusätzlich zur Produktion aufgebaut. Knapp 4000 Hektar Acker- und Weideland werden bewirtschaftet, 850 Rinder – vor allem Mutterkühe – hält das Unternehmen. Von den 220 Mitarbeitern, die hier zu DDR-Zeiten gearbeitet hatten, sind heute aber nur noch 50 Stellen übrig geblieben. Außerdem werden pro Jahr bis zu zwei neue Lehrlinge eingestellt.
Während Klaus Scheel mit dem Traktor die Gehege frisch einstreut, dösen die Bullen unter den Sonnenstrahlen, die durch die Fenster dringen. Worte wie „Fleischindustrie“ oder „Massentierhaltung“ kommen einem erstmal nicht in den Sinn – und das, obwohl hier Dutzende Rinder stehen. Solche Worte will Naujoks auch vermieden wissen: „Bei uns werden die Tiere artgerecht gehalten“, unterstreicht er. In Zeiten, in denen alles „Bio“ sein soll, sorgt er sich um den Ruf von Großbetrieben – beim Bürger, vor allem aber in der Politik.
Gegenwind gibt es aus der Richtung zurzeit eine Menge: Von der Diskussion um die staatliche Beteiligung an der Tierkörperbeseitigung bis hin zur Forderung der CDU, die Direktzahlungen ab dem 500. Hektar Betriebsfläche abzusenken. Die Bauern setzen auf Lobbyarbeit und transportieren ihre Interessen über die Verbände. „Die Landwirtschaft ist für viele immer noch das fünfte Rad am Wagen“, sagt Naujoks, der in Kreisbauernverband und Kreistag sitzt. Auch die Bürokratie ist ein Phänomen, dass die Landwirte immer wieder anprangern. „Die Tiere sind heutzutage besser registriert als die Menschen“, bemerkt Naujoks. In einer deutschlandweiten Datenbank lässt sich der Lebenslauf zum Beispiel eines Saarmunder Bullen nachvollziehen: Wo wurde er geboren, wohin verkauft – und wann geschlachtet.
Das ist ein Schicksal, das Nummer 66-293 aus Fresdorf ebenfalls bevorsteht. Immerhin: Bis es soweit ist, wird Klaus Scheel für ihn sorgen. Thomas Lähns
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