
© M. Thomas
Potsdam-Mittelmark: „Mein Garten wird mir fehlen“
Susanne Melior will ins EU-Parlament einziehen und trotzdem mit Langerwisch verbunden bleiben
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Michendorf - Ihre Absatzschuhe hat sie schon morgens ausgezogen. In schwarzen Socken läuft Susanne Melior über den roten Teppich im neuen Landtag. Sie genießt es über die Gänge zu streifen. Die Türen zu den Büros ihrer Genossen stehen weit offen. Sie klopft kurz an, streckt ihren Kopf herein, grüßt, bleibt stehen und verliert das ein oder andere Wort. Dann geht es zum nächsten Büro. Erst vor wenigen Monaten ist die SPD-Politikerin in das neue Gebäude eingezogen, jetzt muss sie womöglich schon bald wieder ihre Kisten packen. Dieses Mal geht es nicht nur wenige Meter, sondern gleich Hunderte Kilometer weiter – Susanne Melior will ins EU-Parlament.
Eigentlich müsste die Langzeitpolitikerin aus Langerwisch in den Bundestag. Es wäre der nächste logische Schritt auf der Karriereleiter. Doch die Frau mit dem rundgeföhnten Haarschnitt zieht es nach Straßburg und Brüssel, dorthin wo Entscheidungen mit großer Tragweite getroffen werden, sagt sie. „Man merkt im Land und Bund mittlerweile sehr deutlich, wo die Grenzen sind.“ Immer mehr Gesetze würden hierzulande durch die Europäische Union vorgegeben.
Stufe um Stufe hat die 56-jährige Sozialdemokratin die politische Karriereleiter erklommen. Jung fing sie an: Vor 23 Jahren startete sie als sachkundige Einwohnerin in Langerwisch. Im Wendejahr gründete sie mit anderen Genossen die SPD. Dann wurde sie Langerwischer Gemeindevertreterin. Seit 16 Jahren sitzt sie nun auch schon im Kreistag in Bad Belzig. In den Brandenburger Landtag zog sie vor zehn Jahren ein.
Der öffentliche Nahverkehr, die Versorgung mit Wasser, die Müllabfuhr und Sparkassen – das seien alles Themen, die in der Europäischen Union eine große Rolle spielen. Zum Beispiel sei durch die EU eine Online-Petition ermöglicht worden, bei der über eine Million EU-Bürger dafür gestimmt hätten, dass Wasser ein öffentliches Gut bleibe.
„Nach so viel Jahren in der Kommunal- und Landespolitik habe ich ein gutes Gefühl dafür bekommen, was die Menschen hier umtreibt“, sagt die diplomierte Biologin. Die EU sei zwar in den Köpfen vieler Wähler weit weg, die Entscheidungen zum Verbraucherschutz würde aber jeder zu spüren bekommen. „Gechlortes Hühnerfleisch wird es mit mir nicht geben“, sagt Melior. Bei den aktuellen Verhandlungen um das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU wolle sie für mehr Transparenz und Verbraucherschutzstandards kämpfen. „Auch wenn man in den USA das Hühnerfleisch mit Chlor haltbar machen darf, möchte ich derartige Lebensmittel hier niemandem zumuten.“
Um das Aushandeln und Durchsetzen im großen EU-Betrieb macht sich Melior keine Sorgen. Obwohl sie fast zehnmal so viele Mitstreiter im EU-Parlament haben wird als im Brandenburger Landtag mit 88 Abgeordneten. „Zum Glück habe ich eine Menge Parlamentserfahrung und weiß, wie die Spielchen ablaufen“, sagt sie und lächelt.
Viel Erfahrung haben auch ihre Kontrahenten. Der Spitzenkandidat der brandenburgischen CDU, Christian Ehler, ist seit zehn Jahren im Straßburger EU-Parlament. Die aus Brandenburg stammende EU-Abgeordnete der Grünen, Ska Keller, ist seit 2009 dabei. Das Gleiche gilt für den brandenburgischen Spitzenkandidaten der Linken, Helmut Scholz. Nur die Brandenburger Kandidatin der FDP, Christiane Gaehtgens, hat wie Melior bisher keine Erfahrung mit Brüssel.
Zieht sie ins EU-Parlament ein, muss auch ihr Mann pendeln: Melior will nicht jedes Wochenende nach Hause fahren. „Mein Garten wird mir fehlen“, sagt sie. An den neuen Dienstort seiner Frau wird Meliors Mann selbst in Langerwisch einiges erinnern: „Mitten im Ort ist ein großes Stück Europa“, sagt die SPD-Frau. Vor sechs Jahren ist die Langerwischer Ortsdurchfahrt mit EU-Geldern in Höhe von rund vier Millionen Euro saniert worden. Eine kleine Tafel, auf der der Kranz mit den zwölf goldenen Sternen prangt, weist auf den Geldgeber hin. Damit sie weiß, was in ihrer Region passiert, kandidiert Susanne Melior parallel auch für den Langerwischer Ortsbeirat. Sich nur im Brüssler Mikrokosmos aufzuhalten, ist nichts für sie. „Der Ortsbeirat erdet, Kontakt zur Heimat ist wichtig“, sagt Melior.
In der Brandenburger SPD, da sei sie zu Hause, sagt Melior. Die Türen stehen ihr offen – nicht nur im neuen Landtag. Selbstbewusst läuft sie dort strumpfsockig über den Flur. So viel Freiheit muss sie sich in Brüssel erst noch erobern.
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