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Potsdam-Mittelmark: Misshandlung im Mutterleib Fetale Alkoholschäden als Thema einer Fachtagung

Beelitz / Berlin - Björn* ist zehn, wirkt aber wie ein Sechsjähriger. Gemeinsam mit den anderen Kindern seiner Wohngruppe sitzt er am Esstisch im Spandauer Kinderheim Sonnenhof und lässt sich das Hühnchen schmecken.

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Beelitz / Berlin - Björn* ist zehn, wirkt aber wie ein Sechsjähriger. Gemeinsam mit den anderen Kindern seiner Wohngruppe sitzt er am Esstisch im Spandauer Kinderheim Sonnenhof und lässt sich das Hühnchen schmecken. Björns Gesicht ist auffällig: schmale Lippen, hängende Augenlider, kurze Nase und tiefsitzende Ohren. Es sind die typischen Merkmale einer der häufigsten angeborenen Behinderungen, dem fetalen Alkoholsyndrom. Gravierender als die äußerlichen Fehlbildungen sind die Schäden, die Björns Gehirn und sein Nervensystem genommen haben, weil seine Mutter während der Schwangerschaft exzessiv Alkohol trank. Beim Reden verschluckt er Silben, benutzt unverständliche Phantasieworte.

Björn wird nach Kräften gefördert. Denn alkoholgeschädigte Kinder stellen irgendwann ihre Entwicklung ein. Daher gilt: Je mehr die Kinder vor dem Entwicklungsstopp an Fertigkeiten erworben haben, desto besser. Der Sonnenhof ist eines von zwei Kinderheimen in ganz Deutschland, die auf solche Kinder spezialisiert sind. Doch wenn Gela Becker-Klinger, Psychologin und fachliche Leiterin des Kinderheims, auf die Versorgungssituation von Kindern mit alkoholbedingten Behinderungen zu sprechen kommt, wird sie wütend: „Diese Kinder werden im Mutterleib mit Alkohol begossen und kommen behindert auf die Welt. Dann erkennt man das nicht, behandelt sie falsch, und nachher fallen sie auch noch aus allen Hilfesystemen raus.“

Heike Hoff-Emden, Chefärztin der Rehabilitationsklinik für Kinder und Jugendliche in Beelitz-Heilstätten, sind die Probleme nur zu vertraut. Die Klinik arbeitet eng mit dem Sonnenhof zusammen. Beim jährlichen „Spargelsymposium“, einer Fachtagung von Kindermedizinern und Betreuern in ihrer Klinik, wird die „Alkoholembryopathie“ am 2. Juni eines der Themen sein. Hoff-Emden setzt auf Aufklärung. Diagnosezentren, Forschungsprojekte, bundesweite Präventionskampagnen und Fortbildungen von Medizinern seien notwendig.

Nach deutschlandweiten Studien werden etwa ein bis vier von 1000 Kindern mit der Krankheit geboren, zwischen 700 und 2700 Kinder pro Jahr. In den vergangenen fünf Jahren wurden 44 betroffene Kinder in den Heilstätten behandelt. Behandlung und Psychotherapie müssten möglichst früh einsetzen, bestätigt Hoff-Emden. „Doch die Diagnostik ist nicht einfach, weil diese Kinder häufig bei Pflegeeltern leben und nichts über ihre leiblichen Eltern bekannt ist.“ Die Kinder leiden unter Intelligenzmangel, Konzentrations- und Lernschwierigkeiten, sind oft im Puls ungesteuert, hyperaktiv und zeigen Störungen des Sozialverhaltens. Hoff-Emden: „Die Pflegefamilien müssen Marathon-Qualitäten besitzen.“ (*Name geändert)

Näheres bei der Rehaklinik unter Telefon (033204) 62 103 Beratungsstelle oder im Evangelischen Kinderheim Sonnenhof, Telefon (030) 3350 5273.

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