Kleinmachnower erinnern sich an Mauerbau: Mit dem Waschbottich über den Kanal
Kleinmachnow - An Schlafen war nicht zu denken, erinnert sich Edith Lowack an die Zeit um den 13. August 1961.
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Kleinmachnow - An Schlafen war nicht zu denken, erinnert sich Edith Lowack an die Zeit um den 13. August 1961. Sie war Krankenschwester an der Berliner Charité, hatte gerade ihr Examen gemacht und musste mit den verbliebenen Ärzten und Schwestern den Betrieb aufrechterhalten. Über hundert Mitarbeiter hatten die Klinik verlassen. „Eine Katastrophe.“
Der Bau der Berliner Mauer war Thema des Erzählcafés am Samstag im alten Schulhaus gegenüber der Dorfkirche Kleinmachnow. Rund 60 Besucher waren der Einladung der Stiftung „Kirche und Kultur im alten Dorf“ gefolgt, das Leben der meisten war vom Mauerbau geprägt. Gegenseitig Lebensgeschichten erzählen, um sich besser zu verstehen, das ist das Anliegen der halbjährigen Reihe, die zum vierten Mal stattfand.
Für Menschen in Ost und West spitzte sich am 13. August die Lage so zu, dass manche glaubten, es gebe bald Krieg. Dagegen erinnerten sich andere im Erzählcafé, dass sie meinten, die Absperrung werde es nicht lange geben. Edith Lowack war nah an den Ereignissen, die Charité lag direkt an der neuen Grenze. Ihre Sorge galt der Familie in Kleinmachnow. Dort lebte sie mit Mutter und Bruder nahe vom Grenzübergang Düppel. Zu Hause angekommen, hatte sie nur noch den Wunsch, auszuschlafen. Doch auf beiden Seiten der Grenze standen Lautsprecherwagen und beschallten sich tagelang mit Propaganda. An Schlaf war nicht zu denken.
Ein halbes Jahr später war ihr Bruder nach Westberlin getürmt. Er war bei der Nationalen Volksarmee in Stahnsdorf stationiert und hatte für seine Flucht die Weihnachtsfeiertage genutzt. Seine Uniform ließ er – ordentlich gefaltet – am Grenzzaun zurück. Auch der Bericht einer weiteren Flucht sorgte für Heiterkeit. Eine Kleinmachnower Witwe und ihr Sohn hatten sie noch vor dem Mauerbau geplant. Doch am 13. August war der Sohn noch beim Ostseeurlaub. „Dann schwimmen wir eben durch den Teltowkanal“, sagte er, als er heimkam. „Ich kann aber nicht schwimmen“, jammerte die Mutter. Da holte ihr Sohn einen Holzbottich aus der Waschküche, setzte seine Mutter hinein und schob sie noch in der Nacht übers Wasser nach Zehlendorf.
Schon vor dem Mauerbau hatte es Schikanen gegeben. So durften bei S-Bahn- Fahrten durch Westberlin keine Betriebsunterlagen mitgeführt werden. Der Kleinmachnower Georg Heinze nahm das nicht ernst. Auf dem Heimweg von seiner Arbeit in der Bornimer Gärtnerei Foerster wurde er von Zöllnern kontrolliert. Ein Plan mit lateinischen Worten erregte ihr Misstrauen, vor allem die Bezeichnung „Cotoneaster horizontalis“. Der Code für einen toten Briefkasten? Es dauerte, bis sie glaubten, dass es sich um einen Pflanzplan für die Freundschaftsinsel handelt und der Briefkasten die Zwergmispel meint.
Als es nach dem 13. August keine Möglichkeit mehr gab, durch Westberlin zu fahren, wurden viele Wege länger. Bis zu vier Stunden dauerte ihre Fahrt zur Staatsbibliothek in Ostberlin, berichtete Christel Kern. Anfangs war sie auf Busse angewiesen, deren Fahrer meist ortsunkundig waren, weil man die aus Sachsen oder Thüringen abkommandiert hatte.
So kam es vor, dass ein Bus versehentlich die Grenze ansteuerte und die Insassen johlten: „Fahr weiter, wir wollen nur Zigaretten holen.“ Drei Jahre später wechselte Christel Kern, auch der Familie wegen, zur Bibliothek des Stahnsdorfer Betriebes Mikroelektronik. Da hatten sich viele schon mit der Mauer bereits abgefunden. Kirsten Graulich
Kirsten Graulich
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