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Potsdam-Mittelmark: Mit Karabinern gegen Maschinengewehre

In Caputh will man der Opfer von Krieg und Gewalt gedenken. Dazu wurden die Toten des Zweiten Weltkriegs dokumentiert

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In Caputh will man der Opfer von Krieg und Gewalt gedenken. Dazu wurden die Toten des Zweiten Weltkriegs dokumentiert Von Henry Klix Schwielowsee · Caputh - Die Schlosserwerkstatt von Otto Krüger lief nicht gut. Mehrfach soll der Handwerksmeister Bankrott gegangen sein, sein hoher SS-Rang mag ihn Ende 1933 gerettet haben: Da trat er sein Amt als Caputher Bürgermeister an. Monatlich gingen Berichte an die Gestapo, gerade das jüdische Leben hatte Bürgermeister Krüger argwöhnisch im Blick. Die „jüdische Landplage“ würde „zu einer Gefahr“ auswachsen, notiert er im Mai 1934 – das Jüdische Landschulheim hatte neuen Zulauf erhalten. Im Februar 1943 ließ Krüger im Auftrag der Gestapo eine der letzten Caputher Jüdinnen in die Berliner Sammelstelle in der Hamburger Straße bringen: Von dort aus wurde die schon 73 Jahre alte Marie Goerlich ins KZ Theresienstadt deportiert. Diensteifrig macht Krüger aktenkundig: „ausgewandert“. „Gedenken in Caputh“ heißt eine Broschüre, die der Potsdamer Diakon, Sozialpädagoge und Publizist Klaus Hugler im Auftrag der Caputher Kirchengemeinde zusammengestellt hat. Sie soll Klarheit und Verständnis schaffen für ein Mahnmal für Kriegsopfer im Ort, dass es derzeit nicht gibt. Drei Gedenktafeln vom Ersten Weltkrieg, dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 und dem napoleonischen Befreiungskrieg von 1813/15 waren in den 80er Jahren bei der Kirchenrestaurierung entfernt worden. Als sie vor zwei Jahren wieder auftauchten, begann ein Nachdenken über den ehrlichen Umgang mit den Kriegstoten in Caputh. Es stellte sich die Frage, wie man auch die Namen und Schicksale der Opfer des Zweiten Weltkriegs vor dem Vergessen bewahren könnte? Klaus Hugler war „der Mann von draußen“, den die Kirchengemeinde dazu brauchte. Mit Recherchen und gemeinsam mit Caputher Zeitzeugen und Chronisten konnte Hugler eine Liste von Todesursachen und eine Anzahl von Einzelschicksalen wie die von Otto Krüger und Marie Goerlich dokumentieren. Hugler ergänzte Vorarbeiten von Heimatkundlern und erkundete mit Unterlagen aus dem Gemeindearchiv eine Zahl von insgesamt 250 Kriegstoten, die zu ihrem Todeszeitpunkt in Caputh gemeldet waren. Vollständig ist die Liste nicht, die dazu notwendige Einsicht in die Standesamt-Akten blieb Hugler aus datenrechtlichen Gründen verwehrt. So schätzt der Autor, dass es wohl noch etwa 50 Opfer mehr gegeben hat – demnach hätten knapp zehn Prozent der Einwohner die Kriegszeit nicht überlebt. Dass die Soldaten die größte Opferzahl bildeten, mag keine Überraschung sein, Menschen wie die Gebrüder Riebicke waren unter ihnen. Walter Riebicke schaffte es in seiner Militärlaufbahn bis zum Oberleutnant der Luftwaffe – seine unbeschwerte Fröhlichkeit soll ihm im Krieg verloren gegangen sein. Als er am 10. Juni 1940 – 36 Jahre alt – in Mannheim zu einem Aufklärungsflug nach Frankreich gestartet war, kam ihm vom anderen Ende der Rollbahn eine ebenfalls startende Maschine entgegen. Alle Handzeichen kamen zu spät. Sein ihm nacheifernder jüngerer Bruder Immo Riebicke wurde am 28. September 1942 bei einem „Feindflug“ an der Ostfront von einer russischen Flak erfasst. Er war 21. Hugler ging im Auftrag einer eigens gebildeten „Arbeitsgruppe Gedenken“ auch den Schicksalen anderer Kriegs- und Nachkriegstoter nach: Sechs Rubriken gibt es mit den Soldaten und den Volkssturmleuten in seiner Trauer-Agenda: „Durch Bombenangriff getötet“, „Freitod beim Einmarsch der Roten Armee“, „Verschleppt und umgekommen nach dem Kriegsende“ und „besondere Opfer von Krieg und politischer Gewalt“. Ein Denkmal ist geplant und in der Broschüre dargestellt: Die Opfergruppen sollen durch eine Steinformation symbolisiert werden, die zwischen Bürgerhaus und Kirche ihren Platz bekommen soll. Einen „Ort der Trauer für die Angehörigen und Hinterbliebenen und ein Mahnmal gegen gegenwärtige Kriege und staatliche Gewalttaten“ wünscht sich der Kirchenälteste Burkhart Franck. Auch die Namen der Toten sollten an geeigneter Stelle festgehalten werden, erstmals auch die aus dem Zweiten Weltkrieg. Huglers Liste bildet die Grundlage. 180 Soldaten sind gestorben. Einen bemerkenswerten Umfang hat auch die Aufzählung der Menschen, die sich vor Einmarsch der Roten Armee das Leben nahmen: 25 Namen stehen hier, wie die von Kurt und Rosa Bastian, deren Haus bei Kampfhandlungen unbewohnbar wurde. Der Insulinvorrat des Diabeteskranken Kurt Bastian ging zur Neige. Die gefürchteten Russen waren im Anmarsch. Und ihren Sohn glaubte das Ehepaar an der Ostfront gefallen – er hatte überlebt. Und auch Caputh war dank einer kleinen „Verschwörergruppe“ und dank der Umsicht und Diplomatie des zugereisten Russen und Buchhändlers Andreas Wolff von schlimmeren Kampfhandlungen weitgehend verschont geblieben. Einige Einwohner wurden am Havelufer von Kugeln und Geschossen getroffen, die von Geltower Seite herüberkamen, als Caputh bereits befriedet war. 92 Häuser wurden beschädigt, eines zerstört – das der Stoofs. Beim Fliegerangriff auf Potsdam fiel am 14. April 1945 eine Bombe auf das Haus: Vier Mitglieder der Familie und zwei Flüchtlinge starben. Hugler zitiert unveröffentlichte Manuskripte des Einstein-Biographen Siegfried Grundmann, wonach die Bombe eigentlich dem Einstein-Haus gegolten haben soll. Aufgrund seiner Lage war hier der Stab des Flugsicherungsregiments Reich untergebracht. „Umgekommen durch Artilleriegeschoss“, „seinen Verwundungen erlegen“ „abgestürzt“, „Packvolltreffer bei schwerem Rückzugsgefecht“ – die Notizen hinter den Namen dokumentieren Hitlers Größenwahn auf grausame Weise. Aber auch, wie er beantwortet wurde, als die Front aus der Wochenschau ins Heimatland rückte. „Erschossen durch Stirnschuss von russ. Soldaten auf dem Hof, Soldat wollte die Tochter vergewaltigen“, steht hinter dem Namen von Lina Berger. „Vor dem Grundstück von Granatensplitter getroffen“, heißt es hinter dem Namen von Otto Herrmann. Hinter Lehrer Walter Grußdorf die Anmerkung: „Volkssturm im Kampf“. Einen Höhepunkt der Broschüre bilden zweifellos die lebendigen Erinnerungen von Willi Voß, einem Zeugen des Volkssturms in Caputh und des Todes von Lehrer Grußdorf. 15-jährig wurde Voß Ende April 1945 an die Dorffront zitiert. Mit Karabinern trat man gegen Panzer und Maschinengewehre an. Sein Lehrer war Volkssturm-Hauptmann des Ortes, mit „Sprung, auf, marsch, marsch“ trieb er die letzte Reserve in die sinnlose Schlacht. Bei Kammerode wurde der Lehrer getroffen. „Haut ab, Jungs, haut ab“, waren die letzten Worte, die Willi Voß von Walter Grußdorf vernahm. So umfassend das Gedenkheft ist – jeder Hang zur Vollständigkeit offenbart Leerstellen. Nur ein paar Zeilen der 88 Seiten langen Broschüre widmen sich den wahrscheinlich zehn Männern, die nach Machtantritt der Nazis wegen ihrer politischen Gesinnung in Schutzhaft genommen wurden. Auch die Geschichte des Jüdischen Landschulheims bleibt ein Streiflicht in dem verzweigten Büchlein, das Hugler treffend als „Arbeitspapier“ verstanden wissen will. Für seine Liste waren die Verstorbenen maßgeblich, die in Caputh gemeldet waren. Bei den Kindern des Landschulheims – mindestens elf endeten nach ihrer Vertreibung aus Caputh in Konzentrationslagern – sei dies nicht der Fall. Denkwürdig immerhin das Schicksal jener 20 Caputher, die nach Kriegsende verschleppt und umgekommen sind – zum Teil offenbar recht beliebig. So wurde Walter Rettig von der sowjetischen Militärpolizei abgeholt, auf der Liste hatte der NSDAP-Funktionär Fritz Rettig gestanden. Der von den Sowjets verschleppte Partei-Mann Kurt Maager wurde vor fünf Jahren rehabilitiert. Und auch der Rohrweber und NSDAP-Funktionär Erich Teichmann kam nach seiner Verhaftung um und musste sich vorher selbst sein Grab schaufeln – auch wenn er sich dafür eingesetzt haben soll, dass das in der Kristallnacht gestohlene Eigentum wieder zurückgegeben wird. Recht und Unrecht – die Trennlinien sind nicht immer scharf gezogen. Welches Gedenken ist da angemessen? Die Diskussion soll am Volkstrauertag bei der Vorstellung der Publikation weiter geführt werden (13. November, 15 Uhr in der Friedhofskapelle am Ortsausgang Michendorfer Chaussee). Dort ist auch die Broschüre zu haben, deren Druck von der Landeszentrale für politische Bildung finanziert wurde. Viele Fragen wurden schon im Vorfeld gestellt: Kann man das Gedenken an die verschiedenen Opfergruppen vermischen? Verkennt eine Ehrung der Gefallenen nicht, dass die deutschen Soldaten auch Täter waren? Hat ein Ort wie Caputh überhaupt eine Verantwortung gegenüber den Opfern von Kriegen und staatlicher Gewalt? Und wie geht man mit dem Anteil der Caputher am Holocaust um? Die 75-jährige Jüdin Maria Goerlich kehrte nach ihrer Befreiung lebend aus dem KZ Theresienstadt nach Caputh zurück. Ein Wunder und eine bleibende Ehre für den Ort, meint Hugler in der Gedenkbroschüre. Bürgermeister und SS-Major Otto Krüger stellte sich nach Huglers Recherchen im Gemeindeamt – in der Hoffnung, wieder als Schlossermeister in Caputh arbeiten zu dürfen. Er wurde den Russen ausgeliefert und kam ins Speziallager 5 in Ketschendorf, wo er im Februar 1946 verstarb.

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