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Ohne Berührungsängste. Bahnchef Rüdiger Grube (3.v.l.) sprach bei seinem Besuch in Seddin ungewohnt offen.

© Andreas Klaer

Potsdam-Mittelmark: Mit Wut im Bauch

Bahnchef Rüdiger Grube redet sich in Seddin den Frust von der Seele und verspricht Standortsicherheit

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Seddiner See - Manchmal muss ein Chef seinen Frust ablassen. Frust über die Politik, Frust über die EU und über die, die versuchen, eines der größten Verkehrsunternehmen Europas zu zerschlagen. Die Deutsche Bahn. Mit einem Mikro in der Hand steht Bahnchef Rüdiger Grube in der Lokwerkstatt am Rangierbahnhof in Seddin. Umrahmt von gewaltigen Lokomotiven, inmitten von Ölgeruch und vor rund 140 Mitarbeitern redet sich der 62-Jährige in Fahrt. „Das ist alles Schikane. Ich habe eine ziemliche Wut im Bauch“, ruft Grube. Applaus brandet auf. Hier wird der Bahnchef verstanden.

Diese Tage sind keine leichten Tage für Rüdiger Grube: Während in Berlin am Koalitionstisch um Investitionen in das Schienennetz gerungen wird, droht die EU-Kommission damit, die Bahn zu zerschlagen. Und wäre das nicht schon genug, soll der Konzern auch noch zahlen, wenn ihre Züge bei schlechtem Wetter zu spät am Bahnhof ankommen. Nur zwei bis drei Stunden Schlaf gönnt sich der Bahnchef nach eigenen Aussagen derzeit noch. Trotzdem blieb am Donnerstagvormittag Zeit für die Mitarbeiter. Weit weg von der Großstadtpolitik, dafür nah an den Schienen, Weichen und Radsätzen.

Drei Stunden hatte sich Grube für seinen Abstecher zu einem der wichtigsten Rangierbahnhöfe in Deutschland genommen. Berührungsängste kannte der Bahnchef dabei nicht. Freundlich lächelnd schritt der Chef voran. Tür auf, vier kräftige Schritte und schon hatte Grube in der Güterwagenwerkstatt die erste Hand zum Schütteln erreicht. „Guten Morgen“, rief er dem erschrockenen Jungeisenbahner zu. Mit sichtbar wackeligen Knien legte der seinen Pinsel schnell zur Seite und riss sich die Handschuhe von den Fingern. Um Korrosionsschutz geht es hier, erklärte der junge Mann dem Chef.

Der Bahnstandort Seddin zählt zu einem der größten in Brandenburg. Rund 675 Arbeiter warten und reparieren in zwei riesigen Hallen Güterwagen und Lokomotiven, erzählt Werksleiter Andreas Liebing. An einer sogenannten Unterflurdrehbank, einer Art Hebebühne für Eisenbahnen, können die Räder der Loks gewartet werden, ohne sie abzuschrauben. Ist das Profil zerdellt, kann es von der Maschine gleich abgeschliffen werden. In ganz Deutschland hat die Bahn nur zwei solcher Hebebühnen, sagt Liebing.

Einer, der sich mit der Arbeit daran auskennt, ist Bahadir Yavus. Der Fahrzeugschlosser darf im Heiligtum der Unterflurdrehbank arbeiten, einem dunklen schmalen Raum unter den Lokomotiven. Der 23-Jährige arbeitet seit fünf Jahren für die Bahn – und heute das erste Mal unter Beobachtung des obersten Chefs.

Mit einer Schutzbrille auf der Nase und einer Art Degen in der Hand zieht Yavus abgeschliffene Metallspäne von den Rädern ab und zeigt sie Grube. „Je nachdem, wie stark die Schäden sind, müssen bis zu zwei Zentimeter Metall abgehobelt werden“, ruft Yavuz dem Bahnchef zu. Der staunt und fragt nach den Zukunftswünschen des jungen Eisenbahners. „Ich studiere Maschinenbau im Fernstudium“, sagt Yavus und Grube schaut auf. „Ziehen Sie das durch“, sagt er. Auch Grube selbst hat Abitur und Studium einst nach der Arbeit absolviert. „Der Aufwand ist jetzt 20 Prozent höher, dafür haben Sie später ein 80 Prozent schöneres Leben.“ Auf dem Weg zum nächsten Programmpunkt dreht sich Grube noch einmal zu Yavuz um: „Durchhalten, durchhalten“, ruft er ihm zu. Dann geht es für Grube weiter.

Geduldig lässt sich der Bahnchef das Werk zeigen, schlendert durch den Pausenraum, streift mit einem Blick das Aquarium in der Ecke und schreitet zur Fragestunde mit den Arbeitern. „Danke, dass Sie sich eine Pause gönnen“, beginnt Grube und ermuntert sie, offen mit ihm zu reden. „Es ist alles erlaubt.“

Gesprochen wird dann über den fehlenden Fahrkartenautomaten am Bahnhof Seddin. Auch nach den Übernahmechancen der Azubis wird gefragt. Antwort: Sie sind gut. Überhaupt werde der Standort nicht infrage gestellt, so Grube – auch wenn früher bis zu 1000 Güterwagen am Tag mehr auf dem Bahnhof rangiert wurden. Investiert wird trotzdem. Bis zum Herbst 2014 werden 50 Millionen Euro in die Modernisierung des Rangierbahnhofs geflossen sein. „Sie brauchen sich um Seddin keine Sorgen zu machen.“

Die Sorgen der Bahn liegen woanders. Auch das wird bei Grubes Besuch klar. Er spricht offen über seine Meinung zur Politik. So offen, dass die Bahn-Pressestelle einige Zitate später streichen lässt. Fast eine Stunde redet Grube, zählt auf, dass zumindest die Konzernzerschlagung bei den Koalitionsgesprächen in Berlin vom Tisch ist. In der EU jedoch noch nicht. „Das müssen wir uns nicht gefallen lassen“, ruft Grube. Er will kämpfen bis zum letzen Tag. Kämpfen auch, dass die Bahn von den Kosten der Energiewende, der sogenannten EEG-Umlage, befreit wird. Außerdem müssen Investitionen her. Viele Schienen, Weichen und Brücken stammten noch aus Kaisers Zeiten. „Pünktlichkeit hat auch mit Infrastruktur zu tun“, sagt Grube und viele Arbeiter nicken. „Wir wollen, dass Sie mit Stolz nach Hause gehen“, sagt der Chef am Ende. Für diesen Tag hat es bestimmt geklappt.

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