Von Peter Könnicke: Mittelmärkischer Bilderbogen
Pfarrer, Kommandeure, Schlösser und Heilstätten – Orte und Menschen 20 Jahre nach der Wende
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Potsdam-Mittelmark - Der Buchtitel ist nicht ganz korrekt. Der „Mittelmärkische Bilderbogen 2009“ illustriert nicht ausschließlich das zu Ende gehende Jahr. Die Bilder und Geschichten schlagen vielmehr einen Bogen von den Wendegeschehnissen vor 20 Jahren bis heute. Dabei erzählen der Autor Jürgen Stich und der Kleinmachnower Fotograf Bernd Blumrich 15 ganz persönliche Episoden mittelmärkischer Menschen und Orte, die im großen Ganzen der Wendegeschichte nur ein kleines Puzzel sein mögen, teils jedoch eine bislang unbekannte Bedeutung haben. Entstanden ist letztlich eine Sammlung von Erlebnissen, die „exemplarisch, außergewöhnlich oder auch alltäglich“ sind, wie Landrat Wolfgang Blasig in einer Referenz auf der ersten Seite des Buches schreibt.
Sie seien auf ihrer Geschichtssuche überrascht worden von der Vielfalt zwischen Havelland, Fläming und Zauche, schreiben die beiden Autoren in ihrem Vorwort. Überrascht sein mag vor allem der Leser, der in der Mittelmark zu Hause ist, wer und was ihm auf den 100 Seiten begegnet. Da ist zum Bespiel der Pfarrer Edgar Meißner aus Lütte, der in den 1980er Jahren in seiner kleinen Dorfkirche schon Gesprächskreise zu ökologischen Fragen initiierte, im November 1989 in dem brechend vollen Gotteshaus den Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei in der DDR und Theologen Martin Gutzeit referieren ließ, was im Dorf für ein Großaufgebot an Polizei und Staatssicherheit sorgte.
Da ist die Geschichte von Horst Grade, der in Schmerwitz die Kampfgruppenschule leitete und sich am Abend des 9. November weigerte, die Kampfgruppen zum Schutz der Grenze zu mobilisieren. Dann hätte es „Bürgerkrieg“ gegeben, lässt sich Grade zitieren. Oder das Kapitel über Werders Bürgermeister Werner Große, der am 9. November Geburtstag hat. Ein schönes Porträt des Stadtoberhauptes über dessen tiefe Wurzeln in der Region, seine politische Nische in der DDR-CDU und seinen beruflichen Werdegang vom „Havelobst“-Justitiar zum Rathauschef. Oder die Geschichte von Elke Körner, die in der DDR damit haderte, dass es für mehrfach behinderte Kinder kein Schulrecht gab und die zehn Jahre nach der Wende in Belzig eine moderne Förderschule eröffnen konnte.
Jürgen Stich wechselt in seinen Porträts immer wieder die Perspektive vom Menschen zum Ort des Geschehens und liefert so neben ganz persönlichen Biografien ein Stück Ortsgeschichte im Wandel der Zeit. Die Beelitzer Heilstätten, das Gut Schmerwitz, die Werderschen Obstplantagen, Schloss Wiesenburg oder das Örtchen Verlorenwasser werden als „düstere und lichte“ Orte auf der mittelmärkischen Landkarte markiert. Ohne Zeigefinger, nur beschreibend, erzählen die Texte und Bilder vom Verfall, Verharren oder Aufblühen der Schauplätze.
Der 9. November 1989 ist der rote Faden des Buches. Alle Episoden und Erzählungen laufen auf dieses Datum zu. Die Annäherung erfolgt von unterschiedlichen Seiten, auch der Weiterverlauf geht in verschiedene Richtungen. Dabei ist es Jürgen Stich gelungen, die historischen Stunden des 9. November immer wieder neu zu beschreiben, so vielfältig, wie ihn seine Protagonisten erlebt haben. Bernd Blumrich hat diese vor die Kamera geholt – 20 Jahre später am gleichen Ort. Eine besonders gelungene Aufnahme ist die vom ehemaligen Kampfgruppen-Schulleiter Horst Grade in seinem alten Dienstzimmer im Herrenhaus vom Gut Schmerwitz. Auch die gerodeten Obstplantagen bei Werder, wie sie nach der Wende das Landschaftsbild prägten, sind ein spannendes Dokument.
Das letzte Kapitel ist zugleich ein neues: Ein Interview mit Jacob Schulze, geboren am 9. November 1989, einem „richtigen Wendekind“. Eine schöne Idee, um einen kompletten Bogen von damals ins heute zu schlagen.
„Mittelmärkischer Bilderbogen 2009. Ein Jahrbuch“, Bernd Blumrich / Jürgen Stich
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