KulTOUR: Morgensterns Rückkehr
Beginn einer neuen Reihe auf der Bismarckhöhe
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Werder - Als russische Tiefflieger Ende April 45 einen deutscher Verband bei Halbe angegriffen, rettete sich Flakmann Lenz mit einem Hechtsprung unter ein Auto. Erst jetzt bemerkte er, was ihm da Sicherheit geben sollte: Der vollbeladene Munitionswagen. Er musste darüber so lachen, dass seine Kameraden glaubten, er sei verrückt geworden.
Johannes Lenz erzählte dieses Erlebnis, um dem jüngst so zahlreich in den „Salon“ der Bismarckhöhe geströmten Publikum zu verdeutlichen, was acht junge Männer kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert an eben diesem Ort unter Galgenhumor verstanden haben mochten. Mit solchem Gelächter kehren Christian Morgenstern und seine Gesellen nun nach hundert Jahren an ihren Ursprung zurück: Initiiert und getragen vom Freundeskreis Bismarckhöhe, kann man sich fortan beim „Treffpunkt Galgenberg“ zusammenfinden, um Literarisches, Musikalisches, Dokumentarisches, Informatorisches und Kulinarisches im Geiste Morgensterns zu erleben.
Er selbst ist Pate. Zwar ist der „Salon“ für die neue Veranstaltungsreihe noch nicht renoviert, dafür hängt das Logo der humorigen Spießgesellen frontal an der Wand: „das einarmige Kreuz ohne Kopf mit der Basis über dem Winkel, also der Galgen“, wie der Autor des „Korf“ oder „Palmström“ schrieb – schwant einem was? Sein Konterfei anbei erinnert stark an Dostojewski. Das originale Gebäude, wo sich die Galgenbrüder von „Henkersmaiden“ nachschenken ließen, ist zwar hinweg, dafür kann der Verein auf die weltweit einzige Morgenstern-Ausstellung im „Turm“ verweisen. Warum nicht auch „Galgenhumor“ sammeln?
Treff Nummer Eins mit Johannes Lenz (einst Seelsorger Heinz Rühmanns) und der Schauspielerin Dagmar Schneider vom Chiemsee war wirklich vielversprechend, hatte man doch mit dem heutigen Pfarrer i. R. keinen geringeren als den Nachlassverwalter des Morgensternschen Oeuvres vor sich. Er konnte sich sogar noch mit dessen Witwe beraten. So war die „innere Biographie“ des sonderlichen Mannes als „Denker, Dichter, Mystiker und Christ“ wohl gut zu fassen.
Zur Zeit der Reichsgründung 1871 geboren, kurz vor dem Ersten Weltkrieg an Tuberkulose gestorben, schien Morgensterns Leben ein einziges Suchen. Nach Gott, meinte Lenz. Der frühe Tod seiner Mutter und die ständige Abwesenheit des Vaters lenkten seinen Blick bald in gewisse Bahnen. So gründete er als Gymnasiast 1887 eine Schülerzeitschrift namens „Deutscher Geist“ mit dem Leitspruch „Licht, Liebe, Leben“. Hier findet sich auch der Satz, die Welt werde entweder vom deutschen Geist erleuchtet oder sie müsse zur Hölle fahren. Vom Evangelisten Johannes über Meister Eckart führte sein mystischer Weg direkt in die Gefolgschaft Rudolf Steiners. Die Galgenstreiche vor Ort blieben weg, sie wurden als bekannt vorausgesetzt.
Mit großem Respekt würdigte der in Berlin-Kladow lebende Redner die Übersetzungskünste des Dichters. Ohne vorherige Sprachkenntnisse übertrug er Ibsen, Björnson und Hamsun ins Deutsche. „Sein Leben hat sich erfüllt.“ Mag sein, in jedem Fall bereicherte der Vortrag das Bild vom fröhlich dichtenden Zecher ganz enorm.
Eine alternierende Folge von Text und Lyrik („Umwortung aller Worte“) hätte sich angeboten, doch Dagmar Schneider trug die Gedichte des Galgenvogels nach der Pause in Serie vor. Hehre Töne beim Christus-Lob, dann fand jede Schöpfung ihren eigenen Ton. Mit Galgenhumor zurück zum Ursprung – also voran!
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