Potsdam-Mittelmark: „Nehmen Sie doch Pnatz!“
Comedia Saxonia mit „Pension Schöller“ in Beelitz
Stand:
Beelitz - Auf dem Lande ist es zwar schön, doch tobt dort nicht das Großstadtleben. Fort nach Berlin, wo die knackigeren Mädels warten, wo man die neueste Technik erwerben kann, denn mit dem Fortschritt muss man mit! So befindet der neureiche Phillipp Klapproth aus Kyritz an der Knatter, und stürzt sich rein ins pralle Menschenleben. Was er ausgerechnet in der Invalidenstraße 198 an Irrungen und Wirrungen erlebt, schilderten Wilhelm Jacobi und Carl Laufs in „Pension Schöller“ mit solcher Brillanz, dass Bernhard Knuth den Dreiakter am Donnerstagabend zum besten Lustspiel aller Zeiten kürte.
Gar nicht so unwahrscheinlich, denn die bewährte Comedia Saxonia, bereits vor zwei Jahren mit der „Feuerzangenbowle“ im Tiedemann-Saal zu Gast, bescherte den Beelitzern auch zum jetzigen Jahresabschluss eine ziemlich glanzvolle, wenn bühnentechnisch auch aufwendige Vorstellung. Das Tourneetheater hatte für die fast dreistündige Vorstellung gleich zwei komplette Kulissen mitgebracht, neun gut gelaunte und eingespielte Mimen dazu.
Ihr Treffpunkt ist jenes Café, darüber sich die legendäre Pension befindet. Klapproth (Stefan Herforth) trifft dort seinen etwas plümeranten Neffen Alfred (Sascha Graedtke), der als Existenzgründer in Geldnöten ist. Für einen Besuch einer „Nervenheilanstalt“ sagt der Onkel eine kräftige Finanzspritze zu, aber wie soll das gehen? Schöllers Tochter Franziska (Katja Ammer) weiß Rat: Es gilt, dem Geldprotz einzureden, dass just an diesem Abend die Insassen einer solchen Anstalt sich zum Freigang hier im Haus versammeln. Der flotte Hecht vom Lande glaubt es auch, wenn die völlig durchgeknallte Autorin Zillertal (Michaela Möldner) sein Leben in einen Roman zu verwandeln wünscht, ein abgehalfterter Major (Thomas Bieberstein) sich mit ihm duellieren, der vermeintlich weltreisende Professor Bernhardy (Giso Weißbach) ihn zu den Wilden Nordamerikas mitnehmen will, Anfang des 20. Jahrhunderts.
Auch der Hausherr (Uwe Hänchen) selbst in seinem Bratenrock gibt eine merkwürdige Figur. Den Vogel schießt natürlich Eugen Schöller (Thomas Schulze) ab in seinem Winnetou-Kostüm, ein verhinderter Schauspieler mit dem legendären Sprachfehler, der kein L zuwege kriegt: „Nehmen sie doch Pnatz!“, sagt er, bevor der dem kernigen Klapproth Szenen aus „Romeo und Junia“ oder „Winhenm Tenn“ vorspielt. Köstlich. Können vorausgesetzt, war hier wohl Leidenschaft das Brot der Bühne. Nur mit Requisiten wie Grammophon-Tute und Kaffeekannen-Wärmer als Kopfbedeckung hat man es vielleicht zu übermütig gehalten.
Das zahlreich erschienene Publikum spendete vielen Darstellern Szenenapplaus, sogar dem Heiratsantrag des moderaten Professors an das späte Mädchen Ida (Gisela Selle), Klapproths Schwester. Und das nicht, weil sie ausdrücklich die Beelitzer Leberwurst lobte!
Im dritten Akt trifft sich die ganze Bagage auf erquickliche Weise an der Knatter wieder, wo es, vor dem schönen Happy End, noch einmal turbulentest zugeht. Klapproth steckte Schön-Franziska sogar in den Hühnerstall, bis die Federn flogen. Die Paare finden sich, Alfred sieht ein, wie viel Verwirrung er gestiftet, Eugen wird sogar seinen lästigen Sprachfehler los. An wen? Herr Klapproth ist selbst zum Knapproth geworden!
Ein Klassiker! Schon die Idee, normale Großstädter als Irre zu fassen, schafft lukullischen Untertext, sie durch Klapproths Mund nochmal kommentiert zu bekommen, helle Freude. Alles Theater lebt ja vom Spiel im Spiele, vom doppelten Boden. So viel Kraft war darin, dass die Kulissen wackelten. Also sah man starke Typen in historischen Kostümen, eine in Rhythmus und Melodie gut geführte – und seit Jahren viel bewährte – Aufführung. Andre Hiller (Regie) wird sie gern verantworten: Halb Lustspiel, halb Boulevard, konnte man sie mit zwei lächelnden Augen verfolgen – gut für Silvester!
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: