Von Henry Klix: Obstwein und Zeitgeist
Heute entscheiden die Stadtverordneten über die Zukunft des Blütenfestes – sie hat schon begonnen
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Ein kleines Pils beim diesjährigen Baumblütenfest? Keine Chance, es gab nur 0,4-Liter-Becher, der Obstwein wurde gleich in Flaschen verkauft. Das Bild von Jugendlichen, die Pullen wedelnd durch Altstadtgassen torkeln, konnte keinem abendlichen Besucher entgehen. Eine „Promillestreife“ in Phantasieuniform händigte für 3,80 Euro nach dem von Anfeuerungsrufen begleiteten Pusten den Nachweis des Spiegels aus.
„Werder entwickelt sich von Jahr zu Jahr weiter in Richtung Komasaufen, was natürlich nur einen Teil der jugendlichen Besucher, aber einen Großteil des Ärgers und der Außendarstellung ausmacht.“ Die Aussage stammt nicht etwa von einem der Blütenfest-Kritiker der Insel-Initiative 2008, sondern von einem leitenden Polizeibeamten, der sich im Internetforum der Festfreunde von „Werder 24“ zu Wort gemeldet hat. In seltener Offenheit sprach auch der Leiter des Polizeischutzbereichs Brandenburg, Sven Bogacz, mit Blick auf den ersten Festsamstag von „neuen Herausforderungen“. Die Aggressivität sei diesmal nicht von polizeibekannten Schlägern und Hooligans, sondern von „unscheinbaren Jugendlichen“ ausgegangen, so Bogacz bei der offiziellen Festauswertung.
Obstwein und Zeitgeist sind eine gefährliche Mischung. Auch wenn es nicht offen ausgesprochen wird: Es besteht die Befürchtung, dass der 25. April Schule macht. Schon zur Mittagszeit waren an jenem Samstag die ersten Krawallfreunde mit hohem Promillespiegel angereist – und drehten am Adrenalinspiegel der Polizisten. Am Abend gingen dann 150 Jugendliche brutal auf Bereitschaftspolizisten los, vier Beamte wurden verletzt – in dieser Massivität ein Novum in Brandenburg. GdP-Chef Andreas Schuster kritisierte das Fest danach als „grenzenloses Jugendbesäufnis“.
Das ist die Sonnenseite: Die 130. Baumblüte war auch dank des tollen Wetters mit 600 000 Besuchern ein messbarer Publikumserfolg, viele Nachmittagsgäste erlebten – auf der Festmeile und den Obsthöfen – die familiäre Atmosphäre eines Stadtfestes. Doch auch das gehört zum Bild: Die Blüten sind ab, das Fest tendiert phasenweise zur Plattform für Saufgelage und Rangeleien. „Mehr Konzept, weniger Party“ – mit diesem Motto hat sich die Veranstaltungsagentur EPM aus Bad Oldesloe als neuer Ausrichter beworben. Zudem will sie eine Arbeitsgruppe aus Politikern und Bürgern gründen, die sich in die Gestaltung einbringen soll. Aus den Vorschlägen dürfen die Defizite nach 16 Jahren mit derselben Veranstaltungsagentur geschlussfolgert werden.
In einem Ausschreibungsverfahren hatte das Rathaus im Frühjahr Alternativen erfragt. Auch wenn die Stadtverordneten erst heute Abend entscheiden: Die Mehrheit ist hartnäckig wie ein Obstweinkater. Schnell war klar, dass die Berliner Agenturen Horn und Wohltat, die sich erneut bewarben, das städtische Spektakel auch in Zukunft managen werden.
Es wäre noch verständlich, wenn das CDU-geführte Rathaus bei den vielen anspruchsvollen Projekten – ob Bismarckhöhe, Schwimmbad oder Brauchwasserwerk – das Risiko eines neuen Veranstalters für das Werderaner Jahresereignis scheut, zumal kein politischer Druck besteht. Bürgermeister Werner Große hatte im Januar sogar „konkrete politische Anträge zum Festkonzept“ gefordert, doch bis heute sind die vielen öffentlichen Diskussionen nicht ins Stadtparlament vorgedrungen. Eines sollte allerdings aufhorchen lassen: Dass nicht mehr nur eine Gruppe von Altstadtbewohnern, sondern Polizeikräfte vor dem grellen Schaubild eines Massenbesäufnisses warnen. Horn und Wohltat müssen das Blütenfest verändern – wenn das nicht andere übernehmen sollen.
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