KulTOUR: Ohne Mutti gehts nicht
Michendorfer Volksbühne zeigt „Das Fenster zum Flur“. Nicht schlecht, aber mit Subtext ginge es besser
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Michendorf - Theater kann vieles, Theater ist alles, für Könner wie für Eleven. Eine sehr dunkle Kunst übrigens, die bis hin zum Ende der Welt nicht vergeht. Daran wäre letztlich zu messen, wer’s kann, aber das sind die Gesänge von gestern und morgen. Heute jedenfalls, genauer am Wochenende, hat Michendorfs „Volksbühne“ unter Noch-Prinzipal Siegfried Patzer eine neue Inszenierung vorgelegt.
Curth Flatow und Horst Pillau hatten „Das Fenster zum Flur“ geschrieben, 1960 kam es in der Besetzung mit Inge Meysel und Rudolf Platte am Berliner Hebbeltheater heraus. Ein Volksstück mit Berliner „Mülljöh“ ursprünglich, welches die tragikomischen Seiten der gluckenhaften Mutter Wiesner an ihrer geliebten Familie spiegelt.
Sie will für alle das Beste, hat alles im Griff, Ehemann Karl (Bernd Raucamp), den Straßenbahnfahrer, sowieso, auch Sohn Herbert (Sebastian Witt) studiert, wenn auch unwillig, Medizin nach ihrem Willen. Von den Töchtern ist Inge (Bettina Brzinski) eigene Wege gegangen, ist Kellnerin statt der erwünschten Primaballerina. Helen, die andere, kommt gerade aus den USA zurück, wo sie angeblich einen Millionär geheiratet hat. Natürlich ist der übermütterliche Friede ein Burgfriede nur, alles scheint sich gegen ihr perfektes Matriarchat aufzulehnen.
Regisseurin Franziska K. Huhn hat für ihr selbst erdachtes Bühnenbild – Kleinbürgers Wohnzimmer mit Tisch und Stuhl und Sofa – eine eigene Spielfassung erarbeitet und diese mit aller Schlichtheit in Szene gesetzt. Türen auf, Türen zu, ein paar Arrangements, viel Dialog. Mutti darf eben nicht erfahren, dass ihr Gatte den Grauen Star bekommt und die Millionärstochter gar keine ist. Und da gibt es auch noch den Klempner Erich (Gianni von Weitershausen), bei „Fenster zum Flur“ ein arger Brüller, leider. Er ist der Ex von Helen, Mutti hat die beiden auseinandergebracht, wegen des Millionärs, eine recht unklare Rolle. So ist es eben, wenn Muttern immer nur das Beste will und die Kinder erwachsen werden.
Die Inszenierung funktioniert, sie könnte freilich besser laufen, wenn die Regisseurin sich mehr um die Figuren gekümmert hätte. Schließlich ist auch ein Volksstück den Gesetzen der Dramatik verpflichtet, egal, wo eine Bühne sich befindet. Man soll ihnen ja glauben.
Regina Schulte am Hülse hat Muttern Wiesner als Protagonistin ein bisschen nach Else Tetzlaff aus „Ein Herz und eine Seele“ gestaltet, schlürfender Gang, ähnliche Sprechweise, nur nicht so tief im Profil, besonders, als sie ihre Einsichtigkeit mit neuer Gluckerei zu mischen hatte. Karl ist nicht mehr als ein ganz lieber Teddy, dies aber gut. Helen, die Rückkehrerin (Fiona-Maria Karagiannidou), hat außer einem Heulanfall keine Vergangenheitsbewältigung zu bieten, Inge ist die Keiferin in der Familie.
Wem also ginge dieser komisch-tragische Wohnzimmeraufstand wirklich zu Herzen? Bei den Autoren reichlich, hier viel zu wenig, das wird den Eleven wohl nicht mehr gelehrt. Von der Struktur her: ein dröger Anfang, eine lebhafte Mitte, das Finale nach einer rührenden Liebesszene zwischen Mutti und Vati, zu lahm. Und was hat das alles mit dem Titel zu tun? Pfiff und Witz, Pointen und Miljöh, Spieltempo und ein Quäntchen Dialekt sind das Salz vom Volksstück, Subtext, die Seele vom Theater. Fazit: Nicht schlecht also – könnte besser sein! Ist ja auch nicht für die letzten Tage gedacht.
Unter der neuen Leitung der Michendorfer Volksbühne demnächst soll vieles anders werden, das Team ist guten Mutes. Hoffentlich vergessen die Neuen das gute alte Theater-Handwerk nicht. Gerold Paul
Nächste Vorstellungen am 27. Mai um 19.30, 28. Mai um 19 Uhr sowie am 29. Mai um 17 Uhr, Potsdamer Straße 42.
Gerold Paul
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