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Potsdam-Mittelmark: „Platzecks Versöhnungsinitiative ist illusorisch“

„Verantwortung nicht als Einschränkung der Freiheit sehen, sondern als deren Ausdruck.“ Wolfgang Huber, scheidender Landesbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz über die Veränderungen in der Stadt und den Umgang mit der Linken

Stand:

Sie sind seit fünfzehn Jahren Bischof in der Region. Wie hat sich die Kirche verändert?

Auch die Kirche ist zusammengewachsen. Sie war viele Jahre sehr stark mit sich selbst beschäftigt. Dazu kam, dass ziemlich bald nach meinem Amtsantritt das Kirchensteueraufkommen drastisch zurückging. Wir mussten sparen und umstrukturieren. Jetzt konzentriert sich unsere Kirche wieder viel mehr auf ihre Kernaufgabe, geht auf die Menschen zu und ist in der Öffentlichkeit wahrnehmbar. Dass heute beispielsweise Pfarrer in den brandenburgischen Zeitungen regelmäßige Kolumnen schreiben, war vor fünfzehn Jahren nicht vorauszusehen.

Ist es für Sie überraschend, dass der am stärksten wachsende Bereich der evangelischen Kirche die Schulen sind?

Überraschend ist das nicht. Viele Eltern suchen christlich geprägte Schulen. Sie wollen sich stärker an der Gestaltung beteiligen. Das ist an unseren Schulen besser möglich als an staatlichen. Auch bekommen die einzelnen Schüler mehr Zuwendung; reformpädagogische Ansätze spielen eine größere Rolle. Und viele Eltern wollen ihren Kindern eine fundiertere religiöse Bildung ermöglichen.

Sollten die Kirchen verstärkt Sekundarschulen gründen, um auch sozial benachteiligte Kinder zu erreichen?

Das ist eine wichtige Aufgabe. Aber Neugründungen von Schulen gehen bisher immer von Eltern aus; sie werden nicht kirchlich verordnet. Die Aktivität ergreifen sehr oft Eltern, denen Bildung wichtig ist und die für ihre Kinder eine Gymnasialausbildung anstreben.

Fürchten Sie, dass sich die Spaltung der Gesellschaft unter der schwarz-gelben Bundesregierung vertieft?

In dieser Koalition sind Kräfte stärker, die staatliche Rahmensetzungen zurückfahren wollen. Damit geht natürlich die Gefahr einher, dass Arm und Reich noch weiter auseinanderdriften.

Ist das geplante Betreuungsgeld sinnvoll?

Das Heranwachsen von Kindern muss staatlich gefördert werden. Gegen das Betreuungsgeld habe ich aber erhebliche Bedenken. Wichtiger sind Maßnahmen, die Familien unterstützen, etwa gut ausgestattete Kindergärten. Das sind Bildungsorte, deren Qualität und Gebührenfreiheit Vorrang haben müssen davor, dass Familien einfach Geld gegeben wird.

Der Bundespräsident hat aus Anlass Ihres Abschieds aus dem Bischofsamt die „besondere Art und Weise“ gewürdigt, wie Protestanten Verantwortung in der Welt übernehmen. Worin besteht diese besondere protestantische Art und Weise?

Freiheit und Verantwortung miteinander zu verbinden. Verantwortung nicht als Einschränkung der Freiheit zu sehen, sondern als deren Ausdruck.

Wie will die Kirche dieses Denken in Ostdeutschland noch mehr verankern?

Wir wollen vor allem nicht nur auf das schauen, was fehlt, sondern auf das, was gelingt. So beteiligen sich an den Initiativen zur Rettung der Brandenburger Dorfkirchen auch viele, die bisher mit der Kirche wenig verbunden sind. Damit wird nicht nur ein Gebäude wieder hergestellt. Wenn man das würdigt, trägt das zur Lebendigkeit des Ortes bei und auch dazu, dass sich die Leute wieder für religiöse Fragen interessieren. 2010 sind in Ostdeutschland viel mehr Kirchen in einem guten Zustand als vor zwanzig Jahren. Das ist doch ein Erfolg!

In der DDR ist die Kirche systematisch zurückgedrängt worden. Wie bewerten Sie die Versöhnungsinitiative von Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck gegenüber SED-Kadern?

Die Debatte zeigt, dass es so einfach nicht geht. Die Erwartung ist illusorisch, dass beim Schmieden einer Koalition in Brandenburg gleichzeitig ein Versöhnungsprozess stattfinden könnte. Die historischen Vergleiche sind unglücklich. Das Problem wird auf diesem Weg nicht gelöst.

Warum nicht?

Versöhnung setzt Klarheit und Wahrheit im Blick auf die eigene Geschichte voraus. Diese Klarheit und Wahrheit sehe ich bei der Linkspartei aufs Ganze bisher nicht. Versöhnung braucht einen Prozess der Klärung, unabhängig von politischen Absichten. Auf Landes- und Bundesebene gibt es in der Linkspartei weithin ein kollektives Beschweigen der Geschichte. Das halte ich für falsch. Deswegen fehlt mir für die Rede vom „Übergang in die Normalität“ das Verständnis. Als Bischof fühle ich mich besonders dazu verpflichtet, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Millionen von Christen unter den Repressionen der SED gelitten haben. Auch darüber muss gesprochen werden. Kollektives Schweigen führt nicht weiter.

Das Gespräch führten Gerd Appenzeller, Claudia Keller und Gerd Nowakowski.

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