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Keine Streitereien. „Türenschmeißen gab es bei uns nie“, sagt die 99-jährige Hildegard Hesener. Vor 75 Jahren heiratete sie ihren Mann Karlheinz Hesener, der aus Düsseldorf stammt. Er ist mittlerweile 101 Jahre alt.

© Eva Schmid

Stahnsdorfer Ehepaar: Plötzlich waren es 75 Jahre

Die Stahnsdorfer Eheleute Hildegard und Karlheinz Hesener feiern Kronjuwelenhochzeit und verraten, wie so etwas geht.

Von Eva Schmid

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Stahnsdorf - John Lennon brachte pünktlich zu ihrem 33. Hochzeitstag den Hit „Imagine“ raus, sie köpften eine Flasche Wein. Zu ihrer Silberhochzeit trat Konrad Adenauer zurück und wieder gab es eine Flasche Wein. Auch als vor 64 Jahren Wilhelm Pieck zum ersten und einzigen Präsidenten der DDR gewählt wurde, stießen sie auf sich an.

Ein Dreivierteljahrhundert sind Hildegard und Karlheinz Hesener am heutigen Freitag verheiratet. „Die gemeinsame Zeit verging wie im Flug“, sagt die Frau mit den kurzen, weißen Haaren und hellen Augen. Das Ehepaar ist heute noch zusammen glücklich. Er ist mittlerweile 101 Jahre alt, sie 99 Jahre. Die Spitznamen von früher sind ihnen geblieben: Er nennt sie noch immer Hildchen, sie ihn Kalle. Und auch die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit kommen noch locker von der Zunge. Zurückgelehnt sitzen sie in ihren braunen Ohrensesseln in ihrer Wohnung in dem betreuten Wohnprojekt Allegra Sonneneck in Stahnsdorf und erzählen.

Hildegard Hesener ist wie ihr Mann ein Kind des Ersten Weltkrieges. Bis zu ihrem 13. Lebensjahr lebte sie mit ihren vier Geschwistern in Stahnsdorf. Der Vater reparierte Eisenbahnen, in der Wohnung hatte sie mit ihren vier Geschwistern viel Platz zum Spielen. Doch als der Vater starb, musste die Familie zurück in eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung in die Schlaatzstraße nach Potsdam ziehen. Keine schöne Erinnerung: „Die Wohnungen waren zwar schön, aber voller Wanzen“, erinnert sich Hildegard Hesener.

Trotz Ungeziefers und Platznot hat sie sich in der kleinen Wohnung verliebt. „Der Bruder hat die Mutti gefragt, ob er ein paar Kumpels mitbringen könne“, so die 99-jährige Dame. Und plötzlich saß sie neben einem der jungen Arbeitskollegen ihres Bruders, die alle bei Siemens in Berlin arbeiteten. Einer von ihnen hat ihr gleich gefallen, „weil er nicht so ein oller Draufgänger war, sondern eher von der feineren Art“. Dennoch gab es gleich am ersten Abend den ersten Kuss. Und das zu einer Zeit, in der die Frauen Röcke trugen, die sittsam das Knie bedeckten.

„Seither haben wir immer alles zusammen gemacht“, sagt Karlheinz Hesener und lächelt dabei. Spricht man das Jubiläumspaar auf ihre Hochzeitsreise an, fallen ihnen sofort die leckeren Schmalzstullen ein, die sie im Harz 1938 aufgetischt bekamen.

75 Jahre lang erlebten sie gemeinsam auch die deutsche Geschichte. An den Mauerfall können sie sich noch gut erinnern. Die Enkelkinder seien direkt nach der Schule über die Babelsberger Parkbrücke in den Westen gerannt. Gemeinsam saßen sie auch vor dem Fernseher als US-Präsident John F. Kennedy in Berlin war. Selbst den Tag von Potsdam hat das Ehepaar noch im Kopf: „Es war ein schöner sonniger Tag – wir haben gesehen, wie sie da mit dem Auto durch die Massen gefahren sind.“

Kurz danach wurden in der Nazizeit die jüdischen Geschäfte geschlossen, in denen die junge Hildegard Hesener als Verkaufskraft in Berlin lernte und in Potsdam in der Charlottenstraße arbeitete. Ihr Mann war als Fernmeldetechniker angestellt. In den Krieg musste er nicht ziehen, er blieb in Berlin bei Siemens. Während andere Paare getrennt waren, lebten beide zusammen und bekamen im Krieg ihre Kinder.

Ihr erster Sohn kam 1940 auf die Welt, ihr zweiter am Ende des Krieges 1945. An das Chaos kurz nach seiner Geburt erinnern sich beide noch lebhaft: „Es war alles zerstört“, so Karlheinz Hesener. Wegen der ständigen Luftangriffe mussten alle Frauen, die auf der Entbindungsstation in einer Klinik gegenüber dem Stadthaus lagen, in das Stadtschloss gebracht werden, das kurze Zeit später auch zerstört wurde. „Da war es stockfinster“, erinnert sich Hildegard Hesener und muss sich heute noch schütteln vor Angst. Aus Versehen hielt sie dann auch ein anderes Baby in ihren Armen.

Die Zeit nach dem Krieg war schlimm. Zeitweise gab es nur Kartoffelschalen zu essen. Und als dann die Mauer gebaut wurde, hatte Hildegard Hesener wieder Angst um ihre Kinder. „Der olle Ulbricht hat noch gesagt, dass er keine Mauer baue – aber da stand die doch schon längst!“ Ihre Kinder besuchten damals Verwandte in Westberlin und hätten sich ohne Eile auf den Weg nach Hause gemacht. „Die wurden zum Glück noch reingelassen.“

Das Geheimnis einer so langen Ehe: „Och“, winkt Hildegard Hesener ab – „wir hätten ja selbst nie gedacht, dass das so lange hält“. Dann sagt sie ernster: „Wir waren uns eigentlich immer einig, ne Kalle?“ Er nickt. Alles wurde gemeinsam entschieden, selbst beim Kauf eines neuen Küchenstuhls haben immer beide entschieden. Für junge Paare haben sie einen einfachen Tipp: viel Verständnis für den Partner haben. Nur so funktioniere es. Und dann gibt es noch eine goldene Regel und die heißt: Nicht zanken. „Türenschmeißen oder so was, das kennen wir gar nicht“, sagt die 99-Jährige und lächelt ihren Mann verschwörerisch an.

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