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KulTOUR: Plötzlicher Abschiedsschmerz

Vor 10 Jahren zog die Sowjetarmee ab / Dokfilm beim Heimatverein Werder

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KulTOURVor 10 Jahren zog die Sowjetarmee ab / Dokfilm beim Heimatverein Werder Werder - Sie waren jahrzehntelang da und waren doch nicht da. Sie waren nah und fern zugleich und erst als sie gingen, fiel es auf, dass man sich an sie gewöhnt hatte. 373000 sowjetische Soldaten waren seit Kriegsende in der DDR stationiert, drei allgemeine Armeen, zwei Panzerarmeen, eine Luftarmee, 2,5 Millionen Tonnen Munition. Der Beginn des Abzugs der Sowjetsoldaten im Jahre 1991 war für viele Dokumentaristen das Thema des Jahres. Die Filmregisseurin Gitta Nickel, die in ungefähr 80 Filmen den DDR-Alltag dokumentiert hatte, wollte zunächst nicht auch noch diesen Stoff bearbeiten. Aber dann fand sie einen Aufhänger: In Krampnitz war Major Kolja Kurzew stationiert, der Enkel des ersten sowjetischen Stadtkommandanten von Berlin, Nikolai Bersarin. Die Verknüpfung von Familien- und Weltgeschichte war für sie interessant. Ihr Film „Der lange Marsch der sowjetischen Armee“ entstand 1991 und wurde nun in ihrem Beisein vom Heimatverein Werder vorgeführt. Anlass: Vor 10 Jahren war der Abzug abgeschlossen. Der Film zeigt Ausschnitte des Soldatenalltags, Marschieren, Exerzieren, Freizeit, er zeigt Gespräche mit Kolja Kurzew, mit seiner Frau und vor allem seinen Eltern in Moskau. Die Mutter ist Bersarins älteste Tochter. Bilder von endlosen Transportkolonnen Richtung Osten wechseln ab mit sowjetischen Originalaufnahmen aus den letzten Kriegstagen und aufgeregten Straßendebatten der Moskauer Bevölkerung von 1991. Immer wieder geht es um die Geschichte der Familie Bersarin/Kurzew - leidenschaftlich die Mutter, nachdenklich der Sohn. „Wir kamen als Sieger, wir gehen nicht als Besiegte“, sagt er und reflektiert die Nationaleigenschaften von Deutschen und Russen; die Arbeitsamkeit, die er gern in seine Heimat importieren würde, und die Offenherzigkeit der Russen, die er an den Deutschen vermisst. Aber er ist sicher: Feindschaft zwischen beiden wird es nicht mehr geben. Nickel schlägt mit ihrem Film einen Bogen um die 45 Jahre geteilter Geschichte von Sowjetunion und DDR, von den letzten Kriegstagen bis zum Ausverkauf russischer Offiziersmützen am Brandenburger Tor. Bei aller verordneter Freundschaft, bei aller Nicht-Freiwilligkeit dieser Beziehung: das Gemeinsame zeigt sich erst in der Trennung und verursacht so etwas wie Abschiedsschmerz. Der spricht aus Gitta Nickels Film und teilte sich auch den zahlreich erschienenen Zuschauern mit. Man wollte den Film nachwirken lassen und verzichtete auf das übliche Gespräch mit der Filmerin, die längst mit anderen Projekten befasst ist. Zur Zeit filmt sie unter dem Arbeitstitel „Mensch Gundula“ mit einer singenden Krankenschwester aus Neubrandenburg. „Eine spannende Person“, erzählt die temperamentvolle Regisseurin, die über „Gundula“ schon 1981 einen Film gedreht hat und nun ihre weitere Entwicklung verfolgt. Wie übrigens auch die von Major Kolja Kurzew nach seiner Rückkehr nach Moskau: „Er ist nicht mehr beim Militär.“ Für Russland sei nach dem Abzug eine militärgeschichtliche Ära abgeschlossen gewesen – und niemand kenne heute die Perspektive der Streitkräfte. Das dafür exemplarisch stehende Ende der Offiziersfamilie Kurzew ist noch nicht verfilmt: Auch die beiden Söhne des Majors haben sich für eine Laufbahn in der Wirtschaft entschieden. Elisabeth Richter

Elisabeth Richter

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