Potsdam-Mittelmark: Politiker erzählen Geschichten
Mit Klocksin nach China, mit Behm nach Amerika und mit Reiche zum Zahnarzt – gestern war Vorlesetag
Stand:
Kleinmachnow - Es kommt wohl eher selten vor, dass man Politikern staunend und mit offenem Mund lauscht. Und dass man nach Zugabe schreit, wenn sie aufhören zu reden. Doch es gibt solche Momente. CDU-Bundestagsabgeordnete Katherina Reiche, ihre bündnisgrüne Parlamentskollegin Cornelia Behm und der SPD-Landtagspolitiker Jens Klocksin hatten gestern so einen Moment. Die Stiftung „Lesen“ und DIE ZEIT hatten zum Vorlesetag aufgerufen und die Politiker waren drei von insgesamt 7000 mehr oder weniger prominenten Vorlesern, die sich zur Lesestunde in Kindergärten, Schulen und Jugendklubs angemeldet hatten.
„Ich kann nicht gut vorlesen“, entschuldigte sich Klocksin schon auf dem Weg zu seinem morgendlichen Termin, drei Kinderbücher unterm Arm. Wie? Der rhetorisch so gewandte und wortgewaltige Politiker hat Lese-Hemmungen? Vielleicht vor Publikum, denn zuhause sei die abendliche Gute-Nacht-Geschichte für seine beiden Kinder „ein Ritual“. Hier, in der Allgemeinen Förderschule am Schleusenweg, steht indes der Sportunterricht hoch im Kurs. Aber der fällt heute aus – wegen der Lesestunde. Klocksins Vorlesequalitäten sind also enorm gefordert, um den Ausfall zu kompensieren. Seine Vorschläge: „Neues vom Räuber Hotzenplotz“ – „Die Geschichte ist irre lang“, warnt er. Zweites Angebot: Gespenstergeschichten aus Japan und China. Oh! Oder die Geschichte eines Lehrers, der sich in einem Frosch verwandelt hat. Klocksin lässt abstimmen – ein bisschen Poltik muss schon sein – und beginnt an diesem verregneten Novembermorgen die Geschichte vom Sohn des alten Wolfes zu lesen, der in den Tiefen eines chinesischen Waldes einen Waldgeist erlegt.
„Und“, fragt er am Ende der Geschichte, „war“s doof?“ „Nö“, meinen die Kinder. Aber sie wollen ihr Abstimmunsergebnis korrigieren und jetzt lieber doch Räuber Hotzenplotz hören.
In der Kita „Kückennest“ geht es weniger schaurig, dafür lehrreich zu. Katherina Reiche kombiniert Lesespaß und ein bisschen Erziehung. Sie liest die Geschichte vom Schleckerjörg und dem Zahnmännchen – und dass so ausdrucksstark und gestenreich, dass man sich am liebsten gleich die Zähne putzen möchte. Reiche ist geschulte Vorleserin: Gute-Nacht-Lektüre sei für ihre drei Kinder „ein Muss“. Sie selbst lese auch vorm Einschlafen. Derzeit ist es die Biografie von Hillary Clinton. Das klingt ein wenig nach Abendstudium für die ambitionierte CDU-Politikerin. Aber wirklich hilfreich kann Frau Clinton offenbar nicht sein, denn nach ein paar Seiten schlafe sie ein, meint Reiche.
Cornelia Behm geht gern mit Krimis ins Bett. Besonders Commissario Brunetti von Donna Leon hat es ihr angetan. Den Kindern in der Steinweg-Schule liest sie allerdings vom zotteligen Hund Winn-Dixie vor. Wie es sich für eine Grünen-Politikerin gehört, kann sie Vogelstimmen gut imitieren, weshalb ihre Zuhörer schließlich auch begeistert sind, wenn sie den Papagei eines Zoogeschäftes „Gertruuudää“ krächzen lässt. Behms Leseleidenschaft begann mit zwei dicken Wilhelm-Busch-Bänden, die in ihres Vaters Bücherschrank standen. „Lesen ist in meinem Beruf sehr wichtig", schildert sie den Kindern ihren Arbeitstag, der morgens stets mit Zeitungslektüre beginne. Obwohl sie täglich viele Studien, Gutachten und andere Texte konsumiert, findet sie auch noch Zeit zum Bücherlesen, am liebsten zuhause im „Grünen Zimmer". Wo auch sonst?
Politischen Gegnern würde Behm Adrian Peters „Fleischmafia“ empfehlen. Die im Buch geschilderten kriminellen Machenschaften der Fleischindustrie seien nicht möglich ohne die Strukturen, die Politiker mit ihrer Gesetzgebung zu verantworten haben. Christdemokratin Reiche empfiehlt politischen Widersachern „Credo“ von Wolfram Weimer – als „Streitschrift für einen modernen Konservatismus“. Und Jens Klocksin, der vor allem Biografien und Reisebeschreibungen mag, empfiehlt jedem – ob Freund oder nicht – „Aachen - Berlin - Königsberg“, eine Zeitreise der englischen Autorin Patricia Clough entlang der 2000 Jahre alten Reichsstraße. P.Könnicke/K.Graulich
P.Könnicke, K.Graulich
- CDU
- China
- Hillary Clinton
- Japan
- Kinderbuch und Jugendbuch
- Kleinmachnow
- Schule
- Schule und Kita in Potsdam
- SPD
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: