Potsdam-Mittelmark: Produktive Unordnung
Zweites Pleinair in Werder: Vierzehn Künstler verwandeln die Stadt in ein kollektives Mal-Atelier
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Werder (Havel) - Normalerweise kennt man ja Werders Stadtgalerie in einem wohlgeordneten Zustand, wofür Kurator Frank W. Weber zuständig ist. Seit letztem Sonnabend ist das unterm Dach des einstigen Schützenhauses ganz anders. Anlässlich des 2. Internationalen Pleinair mit Teilnehmern aus Werders Partnerstädten Siegburg, Oppenheim, Birzai (Litauen) und dem polnischen Tczew hat sich das Kunst-Geschoss in ein kollektives Mal-Atelier verwandelt.
Auf mobilen Tischen Berge von Papier und etliche Tuben mit Farben, Staffeleien mit entstehenden Bildern, an den Wänden locker angepinnte Skizzen und fertige Werke – eine höchst sympathische Unordnung. Obwohl man hier oben in Ruhe schaffen und vollenden konnte, war natürlich „Open Air“ angesagt. Die vierzehn Teilnehmer, zur Hälfte aus dem Raum Werder stammend, hatten den Auftrag, den Menschen in seiner Stadt zu finden und zu gestalten.
Natürlich war damit zuerst mal der gastgebende Ort selbst gemeint. Also fand man die Künstler vorderhand auf der Insel und in den Höhen, hier und da skizzierend, oder Open-air malend, was die Polin Jola Bukowska überhaupt zum ersten Mal erlebte: „Ein tolles Gefühl!“ Petra Balbach aus Oppenheim, die einen Havelsteg mit den Zeitungen von gestern gestaltet und die Collage dann übermalt, fügte als Kompliment für Werders Insulaner hinzu: „Sie schauen mir über die Schulter und fragen wat dat denn kosten soll, wenn et fertig ist; nette Menschen hier!“
Lob und Honeur vom Pleinair auch für Werders Rathaus und seine Stadtgalerie, für den Pleinair-Organisator Weber sowieso. Pudelwohl fühlten sich alle, ganz besonders lobte man die produktive Atmosphäre dieser Begegnung – gut für die Inspiration. „Wie damals in der Akademie!“ freute sich Günther Ihle, einziger Mann unter den dreizehn Malerinnen, dafür jedoch Nestor der Truppe. Seit Wochen schon hatte er sich der ruhenden Baustelle „Blütentherme Werder“ angenommen, jetzt vollendet er die großformatigen Entwürfe, ein Tagbild mit Baukran und ein „dunkles“ aus der Überschau, wie ein Labyrinth gestaltet.
Über die Produktivität dieser wenigen Arbeitstage zwischen Sonnabend und Donnerstagmittag staunt man sowieso, mancher hat in dieser Zeit bis zu sieben Bilder und etliche Skizzen geschafft. Auf einigen sind, mehr oder weniger geschickte Staffage, Menschen zu sehen, auf anderen nicht. Eine illustrative Vermenschung ist ja auch gar nicht unbedingt nötig, wenn man es wie Ann Louise Schwieger sieht: „Der Mensch in der Stadt, das bin ich, die Malerin!“
So findet man am Wochenende, wenn die Ergebnisse im Kunst-Geschoss präsentiert werden, Skizzen und Ansichten von Gassen und Winkeln in Werder, Bilder in Öl und Acryl mit und ohne Leuten, Drucke. Die Häufung von mausetoten, teils geräucherten Fischköppen (natürlich sind die Wasserbewohner gemeint, nicht die am Meer) als Motiv ist dabei merkwürdig genug. Auch eine Nixe in bleu gibt es zu sehen. So viele Impulse, so viele Bilder!
Dass man auch bei der zweiten städtepartnerschaftlichen Offerte nicht allein zum Ackern nach Werder gekommen war, zeigte das Rahmenprogramm. So waren Begegnungen mit Leuten vor Ort und Ausflüge in Werders Umgebung, nach Potsdam und sogar ins ferne Berlin vorgesehen. Eine runde Sache also. Vorbildlich und extra lobenswert ist die Schirm- und Trägerschaft des Pleinairs durch die Stadt Werder. Am Donnerstag gab es, zusammen mit dem herbeigeeilten Bürgermeister der Partnerstadt Siegburg, für die jungen und alten Jünger der Kunst sogar einen Empfang mit gemeinsamem Essen.
Das hat nicht nur Stil und Noblesse, das ist Kultur! Geht man also fehl in der Annahme, die Existenz der Stadtgalerie Kunst-Geschoss hätte das Denken im Ort verändert?
Präsentation der Arbeiten heute und morgen 13 bis 18 Uhr, Stadtgalerie
Gerold Paul
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