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KulTOUR: Puppen spielen Demenz Burgtheater beleuchtet Umgang mit dem Leiden

Schwielowsee - In der 100. Ausgabe des populärwissenschaftlichen Magazins „Welt der Wissenschaft“ findet sich ein Artikel, der sich mit der gezielten Auslöschung des Gedächtnisses behufs einer Pille beschäftigt.

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Schwielowsee - In der 100. Ausgabe des populärwissenschaftlichen Magazins „Welt der Wissenschaft“ findet sich ein Artikel, der sich mit der gezielten Auslöschung des Gedächtnisses behufs einer Pille beschäftigt. Sinnvoll bei schweren Traumata und persönlichen Katastrophen? Eher fragwürdig, solche Vorgänge gibt es ja längst. Sie laufen in Medizinerkreisen unter Kürzeln wie Demenz oder Alzheimer. Trotz medialen Eifers bleiben sie ein weithin unbekanntes, gefürchtetes Thema, hier geht es um das langsame Erlöschen von Erinnerung und Identität.

Weil die Drohung der Dementia so allgegenwärtig ist, hatte die Gemeinde Schwielowsee im vergangenen Jahr eine Informationsveranstaltung organisiert. Das Interesse war groß, jetzt folgte ein zweiter Fall mit deutlich weniger Gästen. Die Veranstalter hatten Frank Grünert vom Burgtheater Belzig um seine Version von „Demenz, Leben, Leiden, Freude und Tod mit Puppen und Poesie“ gebeten. Eine spannende wie exemplarische Geschichte, die der Schauspieler da mit minimalem Aufwand aus seinem Koffer zauberte.

Der promovierte Hochschullehrer Michael findet eines Tages seine Schlüssel nicht, später vergisst er den Heimweg vom Joggen, dann setzt er sich gar ins Auditorium, statt eine Vorlesung zu geben – Alzheimer, das Frühstadium von Demenz! Grünert zeigt nun in Alltagssituationen, wie dieses Leiden bei Michael voranschreitet und wie schwer es für Gattin und Sohn ist, damit umzugehen. Nicht umsonst wird Demenz auch „Angehörigenkrankheit“ genannt.

Das Spiel ist so wirkungsvoll wie simpel, Grünert verwendet Puppen, die man von hinten mit der Hand führt. Spielorte wie Zuhause oder im Cafe werden durch Piktogramme angezeigt, und als bei Michael das letzte Kapitel beginnt, legt der Spielführer und Erzähler einen zerrissenen Gazeschleier über die Szene. Genial!

Zwischendurch steigt er episch aus, um dem Publikum einen medizinischen Zusammenhang zu erläutern, oder er spielt als weißbekittelter Onkel Doktor selber mit. Das Ergebnis ist sinnlich, wirkungsvoll im Effekt. So einfach kann Theater sein, so anschaulich die Schulmedizin, denn nur ihre Version wird hier gespielt – wozu auch die klare Aussage dementer Unheilbarkeit gehört. Frau Dementia sagt ja im Stück: „Ich stehle dem Menschen den Geist!“ Und gibt ihn nicht mehr heraus.

Die einstündige Aufführung (Regie Harald Richter) ist zu empfehlen. Für Betroffene und Angehörige wird derzeit im Landkreis ein Netzwerk aufgebaut, welches Martina Alband bei der Veranstaltung vertrat. Auch Andrea Koch von der Demenz-Beratungsstelle in Beelitz stand zum Publikumsgespräch bereit. Betroffen und ratlos das Publikum, das Wort „Unheilbarkeit“ war einfach zu stark. Man könne, so die Beraterinnen, nichts tun, höchstens sich einrichten und die verbleibende Zeit wachen Geistes zu dem nutzen, was man immer schon tun wollte. Also die Krankheit verwalten.

Kein Wort über die Ursachen, die auch im vielgebrauchten Aluminium der Lebensmittelbranche liegen sollen. Manchmal genügt ein Blick zum Himmel, wo die Streifenmacher ihr Tagwerk tun. Gerold Paul

Gerold Paul

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