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Potsdam-Mittelmark: Rätselhafte Reime

Geschichten aus dem Gästebuch Albert Einsteins / Das Original ist jetzt in Caputh zu sehen

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Schwielowsee - „Komm nach Caputh, pfeif auf die Welt“, lud Albert Einstein seinen Sohn Eduard einst in das relativ schlichte Sommerdomizil am Waldrand ein. Das Holzhaus war ab 1929 nicht nur ein Treffpunkt für die Familie, auch Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller besuchten den Physiker und Nobelpreisträger. Davon künden die Eintragungen in Einsteins Gästebuch, das seit dem Wochenende im Bürgerhaus Caputh ausgestellt wird. Das Original ist eine Leihgabe des Leo Baeck Institutes New York und wird noch bis zum 31.August innerhalb der Kampagne Kulturland Brandenburg zu sehen sein. Das Buch, dessen Versicherungssumme sich auf 6500 Euro beläuft, liegt unter Glas und darf nicht fotografiert werden. Nur eine Kopie kann durchblättert werden.

Nicht alle Besucher des Sommerhauses haben sich einst jedoch ins Gästebuch eingetragen. So fehlen Namen wie Heinrich Mann, Max Liebermann, Arnold Zweig, Max Born, Käthe Kollwitz, Anna Seghers, Otto Hahn und Max Planck. Die Auswahl der Eintragenden war zufällig, glaubt der Historiker Thomas Schaarschmidt. Jedenfalls bleibt es Spekulation, ob ein Nichteintrag den „hohen Hürden“ des Hausherren geschuldet war, dessen Bedingung lautete: Reimform. Einige Gäste wie der Maler Hermann Struck setzten sich über diese Auflage hinweg. So zeigt die aktuell aufgeschlagene Seite des Originalgästebuches, dass Struck zeichnete statt zu dichten. Auch der Pianist Edwin Fischer ignorierte die „Verordnung zum Reime“ und setzte Noten aufs Papier. Die haben laut Musikwissenschaftlerin Anita Ehlers die Schlussfuge von Mozarts Jupitersinfonie zum Thema. Fischer, der als Lehrer junge Pianisten in Berlin und Potsdam beeinflusste, merkte seinem musikalischen Gruß an: „Eine Fuge, bei der man nicht merkt, dass es eine ist.“ Vom Dirigenten Erich Kleiber stammt ein rätselhafter Eintrag, dessen erste Zeilen mit mehreren Gedankenstrichen an Morgensterns „Der Fische Nachtgesang“ erinnern. Darunter steht: „Wir haben sogar Briefe gelesen/Die anderen Leuten verboten gewesen". Gut möglich, dass die Gäste bei ihren Eintragungen mit der Neugier der Nachgeborenen rechneten.

Vor allem ein Zweizeiler von Toni Mendel weckte die Neugier zahlreicher Besucherinnen. „Heute ham wir keine Händel / Ob ich gleich die Frau Mendel“, schrieb sie am 24.9.1931. Die junge hochgebildete Witwe lud Einstein gern zu kulturellen Veranstaltungen ein und unternahm mit ihm Segeltouren. Zwar gehörte sie zur erweiterten Familie, wurde aber von Einsteins Ehefrau Elsbeth nur gezwungenermaßen respektiert. In den 30iger Jahren emigriert Mendel nach Kanada und kümmerte sich dort um junge Vertriebene, deren Eltern in Konzentrationslagern waren.

Einer, der auch souverän die Anweisung fürs Gästebuch missachtete, war der indische Dichter Rabrindanath Tagore. Eine der letzten Eintragungen im Gästebuch stammt von dem Soziologen Franz Oppenheimer, dem es noch im Januar 1939 gelang Deutschland zu verlassen. Einstein selbst konnte die Caputher Idylle nur drei Sommer lang von 1929 bis 1932 genießen. Als er im Dezember 1932 mit seiner Ehefrau in die USA reiste, ahnte er bereits, dass es keine Rückkehr geben wird. Noch eine Woche zuvor hatte ihn der Nobelpreisträger Max von Laue im Sommerhaus besucht und in Einsteins Gästebuch geschrieben: „Der Einstein ist ein großer Mann/Die ganze Welt weiß, was er kann/Die größte Leistung kennt sie nicht: Er brachte mich (!) zum ersten Gedicht." Kirsten Graulich

Kirsten Graulich

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