Potsdam-Mittelmark: Realitäten in schwarz-weiß
Der Fotograf Bernd Blumrich zeigt in Kleinmachnow Aufnahmen aus der Wendezeit. Zur Vernissage kam auch Manfred Stolpe
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Der Fotograf Bernd Blumrich zeigt in Kleinmachnow Aufnahmen aus der Wendezeit. Zur Vernissage kam auch Manfred Stolpe Kleinmachnow – Fotos können Geschichten erzählen, manche haben sogar eine Geschichte. So wie das Foto, auf dem eine Polizeikette einer Gruppe von Demonstranten entgegen tritt. Bernd Blumrich fotografierte die Szene am 7. Oktober 1989 in der Potsdamer Friedrich-Ebert-Straße. Als er Minuten später mit seiner Frau ins Café Heider wollte, hörte er einen Mann hinter sich rufen: „Det sin die beeden!“. Dann ging alles sehr schnell. Die Polizei nahm beide fest, wie etwa 100 andere Personen auch, die „zwecks polizeilicher Maßnahmen zugeführt“ wurden. Sie wurden in eine Turnhalle in der Bauhofstraße verfrachtet, dort mussten sich alle mit dem Gesicht zur Wand aufstellen. Dann wurde Blumrich aufgefordert, seine Fototasche fallen zu lassen. Jeder falschen Handbewegung folgte bedrohliches Knurren von Polizeihunden, die von ihren Hundeführern noch zeitweise angestachelt wurden, lautstark zu bellen. „Wir wussten nicht, wie das ausgeht und waren froh, dass alles nach 28 Stunden vorbei war“, erinnert sich der Kleinmachnower Fotograf. Seit gestern sind dies und andere Fotos aus dem Wendeherbst in der Ausstellung „Zeitsprung“ zu sehen. Zur Vernissage kam am Dienstagabend auch der damalige Konsistorialpräsident Manfred Stolpe, der seinerzeit im Hintergrund agierte, um Schlimmeres zu verhindern. Stolpe erinnerte sich angesichts des Fotos mit der Polizeikette an die Situation im Herbst 1989: „Es war nicht ganz klar, dass nicht geschossen wird.“ Vieles war ungewiss in dieser Zeit vor der Maueröffnung, auch Bernd Blumrich war sich damals nicht sicher, ob er sein Fotomaterial jemals zurückbekommen würde. Dennoch schrieb er einen Brief an den Generalstaatsanwalt und beschwerte sich über die Form der Freiheitsberaubung und die Beschlagnahmung seines Fotomaterials. Tage später lud ihn der Polizeipräsident persönlich ein, um sich offiziell bei ihm zu entschuldigen, auch sein Bildmaterial erhielt der Fotograf zurück. Der Film war bereits entwickelt, allerdings falsch. Stark grobkörnig sahen die Bilder aus, für die Ausstellung musste jedes am Computer überarbeitet werden. Auch die Vorarbeiten für die anderen Ausstellungsfotos waren aufwändig, außerdem sollten die Ergebnisse wetterbeständig sein. Der Fotograf wollte seine Bilder nicht in einer abgeschlossenen Galerie zeigen, sondern den öffentlichen Raum der Straße Am Fuchsbau 33, vor seinem Geschäft, mit einbeziehen. Dort sind die rund 50 Aufnahmen nun während der Öffnungszeiten zu sehen, nach Blumrichs Angaben für drei Wochen. Die schwarz-weißen Realitäten aus der spannenden Endzeit der DDR lockten am Dienstagabend viele an, die in der ungezwungenen Atmosphäre schnell ins Gespräch kamen. Denn die Geschichten, die der Fotograf auf seinen Bildern erzählt, sind stückweise auch ihre Geschichten. Angefangen vom Ersten Potsdamer Pfingstfest, den Diskussionsforen in der Babelsberger Friedenskirche bis zu dem Tag, an dem die Hammerschläge der Mauerspechte nicht mehr aufhörten. Auch viele bekannte Gesichter sind auf den Bildern, wie das vom 16. Dezember 1989, an dem eine Abordnung der Kleinmachnower Bürgerbewegung die Parteischule der SED in Kleinmachnow besichtigte. 40 Jahre lang war ihnen dieser Teil ihres Ortes verschlossen geblieben, doch bevor sie Ideen von einem künftigen Krankenhaus oder Seniorenheim auf dem Seeberg entwickeln konnten, verschwanden die Akten der Immobilie. Die Gesichter auf den Fotos spiegeln wider, wie sehr sich die Ereignisse jener Tage überschlugen. In diesem Vakuum der Macht erlebte auch der Fotograf die Zeit wie in einem Rauschzustand. Er fotografierte Demonstrationen, die Mauer mit Vormauer, Drahtzaun und Sicherheitsstreifen. Trabis, die nach Berlin fuhren. Auf einem Bild lehnt ein lachender Schornsteinfeger neben seinem Wartburg, weil er soeben von der Grenzöffnung aus dem Radio erfuhr und nun mit Zylinder und Holzpantoffeln auf den Ku''damm wollte. Auch Hannelore Saupe fuhr am 10. November nach Berlin über die Glienicker Brücke. Dort stand die Berlinerin Annelies und bat sie mit ins Zentrum fahren zu dürfen, wo sie ihr dann das Europa-Center zeigte. Abends sind sie über den Ku''damm gebummelt, Wochen später besuchten sie gemeinsam ein Konzert in der Philharmonie. „Befreundet sind wir noch heute, nur wohnt Annelies jetzt in Michendorf", erzählt die Kleinmachnowerin. Barbara Sahlmann fuhr in diesem Herbst erstmals mit dem Fahrrad zur Arbeit nach Babelsberg. Sie nutzte die neue Abkürzung über Berlin-Wannsee, musste aber jeweils an der Stadtgrenze ihren Personalausweis zeigen. Einmal vergaß sie das Dokument. „Sie kennen mich doch", bat sie die Grenzer um eine Ausnahme, aber die absolvierten noch immer Dienst nach Vorschrift. „Viele dieser Erinnerungen rutschen einfach weg, machen Sie einen Bildband daraus, der das bewahrt", bat Manfred Stolpe den Fotografen. Schon eine Stunde später hatte Bernd Blumrich jede Menge Ideen, wie aus dem „Zeitsprung" ein Erinnerungsbuch werden könnte.
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