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Potsdam-Mittelmark: „Rein in den Himmel!“

Doppelausstellungen zum märkischen „Flugwesen“ im Kulturbahnhof und im Kunstgeschoss: Ein Überflug vom Mühlenberg nach Schönefeld

Stand:

Werder (Havel) / Schwielowsee - „Das Flugwesen“ entwickelt und entwickelt sich, selbst wenn dabei mal eine Kuh in den Propeller gerät“, wie Michail Sostschenko in seiner gleichnamigen Satire aus der jungen Sowjetunion überlieferte: „Ritsch, ratsch, weg war sie!“ Ob das auch Otto Lilienthal und seinen zahlreichen Erben in Deutschland passierte, ist nicht überliefert. Des Anzeigens und auch Überlieferns wert ist allerdings eine Doppelausstellung zum Flugwesen vor Ort, welche sehr wohl das Zeug hat, sogar lahme Enten in leichte Begeisterung zu versetzen.

Vor allem der Caputherin Krystina Kauffmann gebührt hier der Ehrenkranz, denn was für die Ausstellungsstationen „Kunst-Geschoss Werder“ und „Kulturbahnhof Caputh-Geltow“ an Verbindungen geknüpft und an oftmals unbekanntem Material geschaufelt wurde, ist zuerst ihr Verdienst. Sie selbst, begeisterte Aviatikerin wie ihr verstorbener Mann Konrad, wagte vor wenigen Jahren einen Höhenflug über die argentinischen Anden. Sie ist Herausgeberin der Dokumentation „100 Jahre Akaflug“, jener „Akademischen Fliegergruppe Berlin“, deren Mitglied sie ist, und die gemeinsam mit der „Gesellschaft zur Wahrung von Stätten der deutschen Luftfahrtgeschichte“ als einer der mehr oder weniger virtuellen Co-Autoren dieser bemerkenswerten Exposition genannt wird.

Wenigstens drei halbe Jahre Lebenszeit hat sie dieses Projekt gekostet, das sagt wohl genug. In der Totale und in teils erstaunlichen Details führt die Gesamtausstellung den Besucher ganz märkisch und auch weltgewandt in einer Art Überflug „Vom Mühlenberg nach Schönefeld“. Ist die Derwitzer Höhe mit den ersten Flug- und Sprung-Versuchen von Otto Lilienthal verbunden, wovon sich in Werders Stadtgalerie auch Kinder bis zwölf sogar spielerisch überzeugen können, so markiert Schönefelds BBI den jetzigen Stand von Fortschritt, Lärm und Bürgerwillen.

In Werder begegnet man neben Lilienthal auch Flugpionieren wie Werner-Alfred Pietschker oder Hans Grade („rein in den Himmel!“). Auch ein Schulgleiter ist zu sehen. Kurator Frank Weber hat wieder einmal alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das Flugwesen in der Mark Brandenburg historisch anschaulich zu machen. Man sieht historische Flugmodelle, Lilienthals Basteltisch mit schriftlichen Anweisungen für seinen technischen Gehilfen, eine Litfaßsäule mit alten Werbeplakaten, schließlich entwickelte sich das Flugwesen in Deutschland bis zum Versailler Vertrag ganz ungemein lebhaft, auch ohne Kühe.

Zugehörig findet man auf gut gestalteten Schautafeln auch die historischen Orte dokumentiert: den Fliegerhorst Werder, Luftschiffhafen und Bornstedter Feld in Potsdam, den Flugplatz Saarmund, den Standort Borkheide, das Märkische Flugzeugwerk in Golm und viele andere.

Wie es dann weiterging und was daraus wurde, zeigt eine liebevoll zusammengestellte Foto-Dokumentation „Biotope der Lebensfreude“ im „Kulturbahnhof Caputh-Geltow“. Sie hat sich vorgenommen, die Brücke zur Gegenwart zu schlagen, auf erhaltenswerte Flugplätze und deren Architektur im Brandenburgischen hinzuweisen und zu zeigen, dass in Zeiten des Zorns „gegen Fluglärm“ wenigstens die Sportfliegerei in stilleren Sphären daheim ist. Unter www.land-der-flieger-de. wird jede Woche einer dieser historischen Stätten zwischen Sperenberg und Rangsdorf, Jüterbog und Strausberg im Internet vorgestellt.

Auch „am Bahnhof“ begegnet man bekannten Namen: Hans Grade, Inhaber des „Flugzeugführerscheins Nr. 2“ von Deutschland, Ingenieur Rainer Stemme und dem Hauptmann Beate Uhse im Cockpit eines Kampfflugzeuges. Jede Tafel ist Geschichte, jede erzählt auch Geschichten, wie man sie mag, oder nicht. Also rein in den Himmel!

Natürlich nimmt diese ganz besondere Flug-Schau auch „Stellung zur Vergangenheit“. Aber sie ignoriert dabei das Unerwünschte nicht, ist zivilcouragiert und ehrlich – nicht wenig heute. Allerdings wäre sie, trotz allen Fleißes der Kuratoren, nicht zustande gekommen ohne die Leihgaben und Hilfen von Spezialisten wie Bruno Möller und Siegfried Seidel aus der Umgebung.

Wenn man unbedingt etwas anmerken wollte, dann höchstens: Viel zu viel für einen Besuch! Tja, so hat sich „das Flugwesen“ hier eben in gut hundert Jahren „entwickelt“.

beide Ausstellungsteile sind zeitgleich bis zum 28. August geöffnet Do. Sa. und So.. 13 - 18 Uhr

Gerold Paul

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